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George Steiner: Eros und Zensur

Gedichte > Zeitzünder


George Steiner

Eros und Zensur


(in: Gedanken dichten, 3)


(2011)


Der Eros im radikalen Sinne ist es, den der Dichter preist und damit Ungerechtigkeit erzeugt, wie Trasymachos in der Politeia (Leo Strauss ist derselben Meinung). Und daß der verderbliche Zauber der Fiktion, der "Phantasie" am stärksten auf die Jugend wirkt, auf die noch in Entwicklung begriffene Empfindsamkeit, verstärkt die Gefahr. Homers zentraler Einfluß bei der Ausbildung der Jugend (paideia) ist sträflich. Der blinde Homer ersinnt die Heldentaten des Achilles und weiß doch nichts vom Kampf, er berichtet von den Reisen des Odysseus und ist gleichwohl der Seefahrt unkundig. T.E. Lawrence wird über diese Unaufrichtigkeit im Vorwort zu seiner Version der Odyssee nachsinnen. Er zumindest hatte Flöße gebaut und "seinen Mann getötet". Daher die Notwendigkeit der Säuberung, der Zensur, einer für die Erziehung geeigneten Wiedergabe Homers, einer Aufführung nur jener Kunst und Musik, welche die Kriegskünste und die Harmonie der Gesetze begleiten und preisen. Daher auch die mehr oder minder höfliche Aufforderung an Dichter, Mimen und Flötenspieler, die Politeia zu verlassen und mit den Rauschmitteln der Vorspiegelung anderswo hausieren zu gehen.

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