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Franz Hohler: Sommergelächter

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Timo Brandt

Botschafter des Lebens


„ich habe Verständnis dafür
ich war nie ein Revolutionär
ich war eher ein Spötter und Stauner
ich habe mich immer gewundert
über die Welt
und die Normalität
als welche der Wahnsinn daherkommt
und das Staunen und Wundern nahm zu“

Staunen und Wundern sind wichtige Katalysatoren bei einer poetischen Durchleuchtung und Anverwandlung; durch sie wendet sich die Medaille der Dinge von der gewöhnlichen auf die besondere Seite. Virginia Woolf spricht in ihren Tagebüchern einmal von den „Seinsmomenten“, die in viele „Momente des Nichtseins eingebettet sind“. Dort dringt laut Woolf das Erhabene in die Erfahrung ein und von dort färbt die Gewissheit einer Bedeutung des Lebens auf alle alltäglichen Verrichtungen ab, illuminiert noch die kleinsten Erscheinungen.

Es gibt eine Tradition in der Lyrik, die diesen „Seins-momenten“ gewidmet ist; Momenten, in denen sich das Bewusstsein eines Individuums kaum noch abgrenzen lässt von der Verbindung, die es mit der Umwelt in jedem Moment eingeht, ohne das immer in aller Deutlichkeit zu spüren. In manchen Gedichten findet man in Worte gefasst, wie diese Verbindung bemerkt, wie auf sie zugegriffen wird. Erstaun-licherweise legt dieses gesteigerte Bewusstsein für die Um-welt, ihre Offenheit, auch den Aspekt des Eigenen, des Ichs, deutlicher frei; die Grenzen verschwimmen und dennoch werden die Räume klarer hervorgehoben.

„Am Kran
hing immer noch ein Container
in der Luft
und ganz zuvorderst
auf dem Auslegearm
saß eine Amsel
und sang und sang
so laut und lang

bis ich begriff.“
             
Der schweizerische Autor und Dichter Franz Hohler ist nicht nur ein Dichter der Seinsmomente. Ähnlich wie sein verstorbener Kollege Kurt Marti (dessen gesammelte Gedichte ich hier vor einer Weile besprochen habe) ist sein Werk vielmehr ein Ausbund von unterschiedlichen Richtungen und Motivationen und das Gedicht wird nicht als ausgeklügelte formale Struktur verwendet, sondern als Transportmittel für verschiedenste Anliegen, persönlicher, politischer, spielerischer und poetischer Natur.

Gerade deswegen sind diese Gedichte (wie auch die Gedichte Martis) zwar ein Lesevergnügen, aber nicht unbedingt etwas für jene, die bei Gedichten vor allem sprachliche und formale Experimente und/oder Feinstarbeit bevorzugen. Hohler rückt das Alltägliche und die großen Fragen ins Zentrum seiner meist schlichten Gedichte, die meist Beobachtungen, Stellungnahmen und Bekenntnisse darstellen; die die Palette der Emotionen vom Flüchtigen bis zum Tiefer-liegenden anspielen.

„Der Vogel Angst
hat sich ein Nest gebaut
in meinem Innern

und sitzt nun manchmal da
und manchmal
ist er lange weg

oft kommt er nur
für einen Augenblick
und fliegt gleich wieder weiter“

Oft geht es liebevoll, geradezu beschaulich zu, dann wiederum gibt es engagierte Verse, die sich zum Zeitgeschehen äußern und positionieren (eine weitere Parallele zu Marti). Gleich einem Botschafter des Lebens, der für die unterschiedlichsten Interessen dieses Phänomens eintritt, erzählt Hohler von den unscheinbarsten Augenblicken, die beinahe übersehen werden, beinahe in der Abgeschlossenheit einer einzelnen Erfahrung versinken, und von den großen Zusammen-hängen, in denen niemand sich mehr wirklich zurechtfindet und wo die Frage nach richtig und falsch obsolet zu werden droht.

Es gefällt mir, dass Hohler dabei schnörkellos und zugänglich bleibt. Seine Schlaglichter sind keine großen Analysen, keine durchreflektierten Gebilde, sondern kleine Bilder, Nachrichten, Nachdenklichkeiten, Verdichtungen der kleinen und großen Erschütterungen. In einem Gedicht geht es bspw. nur darum, dass ein Zugführer über die Schulter schaut und zwei Buben und einen Mann sehr achtsam durch die Scheibe blicken sieht:

„und wenn er
dazu lächelt
weiß ich
dass er mehr gesehen hat

zwei Träume
vom Erwachsenwerden
und einen Traum
vom Kindsein.“

Einen nicht geringen Teil von Hohlers Werk machen (wiederum wie bei Marti) Mundartgedichte aus. Eine ganze Reihe dieser Mundartgedichte sind Übertragungen von deutsch- und fremd-sprachigen Gedichten, darunter auch lateinische Klassiker.

Ein häufiges Motiv ist, neben den bereits genannten, der Nachruf. Vor allem in dem neusten Band, der erst letztes Jahr erschien („Alt?“), gibt es einige Nachrufe auf Bekannte, Freund*innen.

„nun sprechen und schreiben sie alle von dir
im Imperfekt
er war, er wurde
er schrieb, er lebte
er ging
so schnell passt sich Sprache
der Wirklichkeit an
und die Wirklichkeit sagt
seit Freitag, 16 Uhr
immer wieder dasselbe:
Selbstmord.“

Jedes Gedicht ist irgendwie auch eine Predigt für mehr Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, Wachheit, vor allem in Bezug auf die Dinge, denen wir nicht hinterherhechten müssen und die uns nicht verfolgen, sondern die bei uns sind, ganz nah. Ganz gleich, ob es Dinge sind, die uns eine wichtige persönliche Erfahrung zuteilwerden lassen, eine Schönheit darstellen oder wichtig sind für die Stabilität der gesellschaftlichen und/oder politischen Verhältnisse.

Franz Hohlers gesammelte Gedichte appellieren deutlich an diese Aufmerksamkeit. Nicht umsonst heißt einer seiner Gedichtbände „Vom richtigen Gebrauch der Zeit“. Manchmal veranschaulicht er, was er sagen will, manchmal sagt er es frei heraus. Das ergibt eine gute Kombination, eine lesenswerte Sammlung von Gedichten in „Sommergelächter“.

„Lasst euch das Recht auf den eigenen Eindruck nicht nehmen,
öffnet die Augen, die Ohren, das Hirn und das Herz
und das, was euch dann begegnet
ist eure Zeit
es kann sein
dass gerade nach diesem Eindruck gefragt wird
später einmal oder morgen bereits
denn wo immer es Täter gibt und Opfer
werden auch Zeugen gesucht.“


Franz Hohler: Sommergelächter. Die Gedichte. München (Luchterhand) 2018. 352 S. 20,00 Euro.
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