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Fabian Widerna: Zwischenschritte

Montags=Text

Fabian Widerna

Zwischenschritte


Man kann dieses Fenster nicht mit Aussicht füllen. Davon auszugehen, etwas wäre da, ist an sich schon vermessen. Ist an sich schon . . . schön . . . ein Schluck aus dem Glas, das seit mehreren Tagen dort steht. Das Wasser schmeckt schal. Denkt man. Man möchte das Fenster öffnen, oder den Luftzug aufhalten, der um die Backen weht. Beides geht nicht. Man könnte annehmen, dass es draußen regnet. Dann in die Küche, ein frisches Glas holen, das alte in die Spülmaschine und . . . einen Apfel aus der nicht mehr gut befüllten Obstschale. Zu oft in den letzten Tagen . . . Reinfall, fällig . . . keine Ausrutscher mehr. Die Schwermut der Minute zur Seite schiebend: der Apfel schmeckt scheiße. Trotzdem zu Ende kauen, den Griebs aus dem Fenster . . . weil da ohnehin potentiell nichts ist. Man möchte sich ins Freie beugen, nachsehen, ob man jemanden getroffen hat. Aber das ist kein Nebel dort draußen. Es ist nicht die Zeit dafür. Da vergeht etwas. Man fürchtet sich ein wenig davor, hinauszugreifen. Vorsichtige Rückkehr ins Wohnzimmer. Dort steht ein Karaffe mit kaltem Kräutertee. Kein Mensch weiß, wer sie dorthin gestellt hat. »Das alles ist ein bisschen beunruhigend.« Sagt man laut. Das ist beunruhigend. Denkt man vor sich hin. Unzufrieden sein, mit der Situation und allem, auf die man keinen Zugriff erhält, im Moment. Das ist zumindest eines der notwendigen Probleme, die man bearbeiten müsste. Anders als andere Situationen befindet diese sich nicht in Privatbesitz, ist quasi allgemein zugänglich, somit von personeller Teilnahme nicht abhängig zu machen. Sinniert man. Man könnte selbstverständlich versuchen . . . aber . . . »Versuchen« Sagt man sich. Und: »Herr zu werden.« Etwas wirr. Gesteht man sich zu. Und bemerkt, dass man das Glas in der Küche vergessen hat, aus dem man kalten Tee mit Zitrone zu trinken im Sinn gehabt hatte. Also: »Ich habe versucht, Ihnen das zu erklären. Sie sind nicht hier. Weil Sie hier sein wollen. Sie sind hier, weil Sie . . . hier sind. Das ist notwendig.« Und: »Wollen Sie bitte klarere Worte finden, damit wir unsere Arbeit hier vernünftigerweise fortsetzen können? Das liegt i. . . « Und: Mit einer klaren Geste das Wort abschneiden. Wir sind nicht hier, weil Sie das so wollen. Formuliert man in eigenem Interesse zu Ende. Wir sind hier . . . und? Vom eigenen einmaligen Atemzug zu Boden geworfen, steht man gebeutelt wieder auf und nimmt den Weg in die Küche auf sich. »Sie wissen, dass das keine Lösung ist?«. Setzt die Stimme wieder an. »Sie können für immer so weitermachen und nichts wird letztlich . . . « Hartnäckiger: »Hingehen und wieder zurückgehen; was versprechen Sie sich davon?« Was versprechen Sie mir . . . ? »Sie sind nicht mehr Herr der Lage; ich denke, soweit waren wir?« Erwidert man: »Wir sind nie in der Lage gewesen . . . Das ist uns kein Trost. Wir möchten alleine sein.« Die Stimme lässt sich nicht überzeugen. Schließlich weiß keiner mehr, von welchem Punkt sie gekommen ist. Schließlich weiß keiner mehr, von welchem Ort aus sie spricht. Man kann sie nicht zuordnen. Manchmal denkt man, dass schließlich man selbst nicht einmal ihr Adressat ist, obwohl man die ganze Zeit, die ohnehin keine Zeit mehr ist, im herkömmlichen Sinn, über damit konfrontiert wird, ohne Möglichkeit, eine anderen Ort aufzusuchen, um darin Ruhe zu finden. Niemand weiß, woher die Stimme gekommen ist. »Was meinst du?« Wirft er in die Richtung, wo er sie vermutete, aufblickend, aber er sieht immer nur Schemen, wenn er sich ein Bild machen will, mittels dem er ihr begegnet wäre. Wie gewohnt keine Antwort erhaltend. »Ich möchte ins Gespräch kommen.« Kündigt man an. »Das war’s!« Sagt man. »Ich spiele nicht mehr mit« Der alte, verwaschene Vorhang bewegt sich im Wind auf zwei verschiedene Weisen.¹ Man versucht zu entscheiden, welche die richtige war und muss erkennen, dass das nirgends hinführt. Das leere Glas, in dem sich seit zwei Tagen abgestandenes Wasser befindet, steht am Tisch. »Aber das Fenster hier, das kann man nicht mit Aussicht füllen.« Doziert die Stimme. Das leere Glas fließt zu Boden. Beinahe fröhlich, möchte man meinen. Er nimmt einen Schluck und fühlt sich erfrischt. Er versucht, sie sich vorzustellen, im Türrahmen stehend. Er blickt auf und sieht, wie er sie im Türrahmen stehen sehen würde, auf Worte wartend, natürlich nicht die seinen, natürlich machte sie keine Anstalten, näherzukommen, widersetzt sich jedem Anspruch, klare Konturen zu erhalten. Man muss sehr vorsichtig sein, mit dir. Denkt er und wundert sich, ob sie das zu hören in der Lage ist, sieht wieder auf das Glas, nur um nach einigen Momenten erneut hochzublicken. Denkt er. im Versuch, sie zu überraschen, um der Stimme eine Gestalt abzuringen. Sie hat keinen Charakter, keinerlei Eigenheiten, gibt sich akzentfrei, manchmal kann man nicht differenzieren, welcher Sprache folgend sie sich ihm vermittelt, wenn sie in einer Anzahl von Strängen gleichzeitig auf sein Denken einhämmert, welcher Sprachform sie angehörte. Mit Vorschlaghammer an den Bahnen des Denkens entlang, um im Porzellanladen seines Geistes alles zu zertrümmern, was er nicht mit einigem Aufwand hinter mehreren Schichten Sicherheitsglas aus der Einzugsschneise in Sicherheit bringen kann. Dann wieder ganz kollegial, unverbindlich freundschaftlich und manchmal, ohne System scheint’s, einfach weg. Das schließlich ist noch beunruhigender, als allein die Anwesenheit. Auf ein Gespräch lässt sie sich niemals ein. Noch einen Schluck aus dem Glas nehmend, bis es leer ist. Ein Blick aus dem Fenster . . . Ein Blick zurück, ins Haus. Die Straße ist geebnet. Hier lässt sich nichts abbilden. Steine im Bankett. In einem halben Kilometer, etwa, ein Schranken, danach . . . Nur einen Schritt weiter. Nur . . .Verliert sich in der Strecke zwischen den in den Sand gesetzten Füßen.

13. Juni 2015/23:18/ v.5

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