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E. A. Richter: Der zarte Leib

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Jan Kuhlbrodt

Der zarte Leib



Das neue Buch E. A. Richters ist ein Triptychon, was dem Titel eine leicht ironische Note gibt, stellt doch eine Tafel in der Christlichen Altarmalerei zumeist den ans Kreuz geschlagenen Heiland dar, oder zumindest seinen gequälten Körper nach der Kreuzabnahme in den Armen seiner Trauernden Mutter.

Gleichzeitig aber wird, gerade in dem Moment, da sich das irdische Leben vom himmlischen trennt, die Verbindung hergestellt, zwischen Erde und Himmel, der Leib, der zurückgelassene Leib, trägt die Zeichen irdischer Qual, zugleich aber wird die Qual eben einem zurückgelassenen vergangenem Leben zugerechnet, das der gequälte wie eine Hülle verließ. Der „zarte Leib“ erweist sich als empfänglich für allerlei Quälereien, psychischer und physischer Art, deren Erinnerung sich in ihn einschreibt, er ist kein Körper, den man einfach verlassen könnte.

Die Mitteltafel in Richters Band heißt „Pessimismus und Erfahrung“, ist ein langes Gedicht in 16 Teilen und beschreibt eine Trennung. Nicht die Trennung von Körper und Seele. Sondern die Trennung einer Beziehung vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges. Die Trennung zweier Seelen und zweier Körper in je einen einzelnen zurückgebliebenen, oder eben aus der Beziehung hervorgegangenen, je nach Perspektive verletzt oder gestärkt. In Richters Text aus der Sicht eines verlassenen Mannes eher verletzt. Wir erfahren es indirekt, da das lyrische Ich sich brieflich einem anderen öffnet. Einem Freund.

Das Perfide ist, dass der Sieg der kommunistischen Nordvietnamesischen Truppen im Vietnamkrieg zwei Teile eines Landes zusammenfügte.

In der Logik der kommunistischen Propaganda galt das als Befreiung. Allerdings hat die Bevölkerung Vietnams heute, 40 Jahre danach, noch immer mit den Auswirkungen dieses Krieges zu kämpfen. Große Landstriche waren verseucht, Menschen und Natur wurden in Mitleidenschaft gezogen. Noch immer werden körperlich und geistig behinderte Kinder geboren, deren Behinderungen auf Kampfmitteleinsätze der Amerikaner zurückzuführen sind. Und letztlich war das, was die Propaganda als Befreiung bezeichnete, der Beginn einer erneuten Verstrickung. Vielleicht liegt es in der Natur der Geschichte, dass jedes Ereignis eine undurchschaubare Kette weiterer Ereignisse auslöst. Unter diesen Umständen ist von einem normalen oder natürlichen Gang der Ereignisse nicht zu sprechen.

Den gegenüber das geordnet Ungeordnete der Natur:

es geht auf und ab
zwischen gebüsch, gräben und trichtern
das schöne, absurde
ist die unberührtheit der naturdinge
sagt er,
dass sich alles ganz von selbst
überwuchert, einebnet, gleichmacht


Das Ende dieses langen Gedichts aber, rückt die Relationen gerade. Das überwache Empfinden des eigenen Trennungsschmerzes wird als das Vergängliche in Hinsicht auf das Grauen des Krieges klar. Entstanden ist der Text 1972, also während der Vietnamkrieg in seine letzte Phase eintrat.

Flankiert wird das Mittelbild durch zwei aktuelle Gedichtzyklen, vom titelgebenden Zyklus Der zarte Leib, und einem unter dem Titel Leibesvisitationen.

Und wenn im Mittelbild der sich entfremdende Blick auf die Körper der sich entfremdenden Partner eine zentrale Rolle spielt, ein Blick also, der seine ideologische Ausrichtung zu objektivieren sucht und damit zugleich verrät, spielen in den Seitentafeln sowohl Introspektion und Reflexion eine Rolle. Der Körper erscheint hier als alternder und begehrender Körper. Und um auf den Eingang zurückzukommen, durch seinen frühen Tod wird Jesus auch ewige Jugend zu Teil. Wir Alternden aber schleppen unerfüllte Wünsche mit, Erinnerungen und einen zugerichteten Körper, der uns immer wieder Anlass ist zum Leid, aber eben nicht nur zum Leid.

Auch auf klassisch getrimmt, ist er immer noch
provokant, sogar als männlicher Akt, der ebenso
nur auf Befehl Position und Haltung ändern darf.

(Leibesvisitation 3)




E. A. Richter: Der zarte Leib. Wien (edition korrespondenzen) 2015. 128 Seiten. 18,00 Euro.
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