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Dominik Dombrowski: Die Schnecken

Montags=Text


Dominik Dombrowski


Die Schnecken


Als er gegen Mittag aus dem Bett fand ging er
in die Küche dort blieb er am Radio hängen
bei Mahlers fünfter Symphonie
Ebenso seine Katze / er hatte ohnehin bemerkt
dass seine Katze
irgendwie ein Faible für Gustav Mahler hatte

Er sah aus dem Fenster / sah seine Freundin
bei der Gartenarbeit
Sie hockte am Rand des Beetes eine Maikönigin
Und sammelte zwei Dutzend Nacktschnecken
in ein Schraubglas

Wie tüchtig sie ist / dachte er und es gefiel ihm
wie sie ohne es zu bemerken
Ihre Schneckenfinger nebenbei über ihre weißen
starken Schenkel streichen ließ

Am Horizont sammelten sich jetzt die Wolken vor
eine falsche Sonne später als sie zu ihm in die Küche kam
bat er sie um das Schneckenglas und er streichelte
ihr die Hände die schwitzten wie zwei Hundepfoten

Sie rauchten zusammen eine Zigarette dann nahm er
das Glas und ging den alten Feldweg zum Rodderberg hinauf
dem heraufkommenden Gewitter entgegen
und war ihr dankbar dass sie duldete

dass er ein Taugenichts war / für nichts
recht geeignet
immer im Kampf mit ein paar
Versen und dem Maßhalten beim Wein

Er fand dann einen Stock mit dem er die Schnecken
aus dem Glas bekam / er platzierte sie sehr
sorgsam zwischen die Grashalme
am Wegesrand / unten im Haus dachte er

würde die Symphonie jetzt wohl beim Adagietto
angekommen sein sie würde sich die Haare entknoten
sie würden wie ein roter Wasserfall über das
Waschbecken fallen & eine feuchte Spur hinterlassen

Dann kam die Ruhe / vor dem Sturm die Schnecken
waren im Nu im Gras verschwunden aber
er wusste es waren die schnellsten Tiere der Welt
Es ist dasselbe Geheimnis wie alles

was nur einmal geschieht / Dinge die zu bemerken
eigentlich nicht vorgesehen ist beispielsweise
hatte er einmal aus den Augenwinkeln einen
Wellensittich gesehen der kopfüber an einem
Baum hing oder einen unter einen Regenschirm
sich duckenden Mann in einem Mantel mit
hochgestelltem Kragen bei blauestem Himmel
im Hochsommer oder einmal hatte er die
Schläge der Kirchturmuhr mitgezählt und er
War auf dreizehnmal gekommen und einmal
hatte er seine Katze rausgelassen als sie ihm
plötzlich von hinten doch wieder um die Beine strich
während die Tür die ganze Zeit geschlossen geblieben war

Als er dann am Ende des mahler‘schen Rondo-Finales mit dem
leeren Glas zurückkam und ihr zusah
wie sie sich kämmte während er
sich eine Zigarette drehte und im Geiste seinen
Vorrat an chilenischen Weinen durchging
wusste er bereits
dass dieselben Schnecken die aus dem leeren Glas
auf dem Tisch vor ihm
bereits wieder
ins Beet zurückgekrochen waren


In Dominik Dombrowski: Fermaten. Gedichte. Dresden (edition AZUR) 2016. 90 Seiten. 17,90 Euro.

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