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Dirk Uwe Hansen: wolkenformate

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Jan Kuhlbrodt

Zu Dirk Uwe Hansen: Wolkenformate



Wolkenformate heißt der neue Gedichtband Dirk Uwe Hansens, der als Band 08 in der Reihe staben im Frankfurter Gutleutverlag erschienen ist. Er versammelt drei Zyklen von kristallinen Gedichten, denen man unrecht tut, würde man von Kargheit sprechen, genauso wenig wie eine einzelne Wolke karg sein kann. Einfach vielleicht in ihrer Struktur, aber nur auf den ersten Blick. Zoomt man näher heran, erweist sie sich in all ihrer Komplexität.


bindet wasser trocken in fasern ab
diffundiert nach außen die
schwerkraft im innern der sphäre


Durchschossen ist der Band von grobkörnigen Schwarzweiß-fotografien von Michael Wagener, die visualisieren, was in den Texten geschieht, zumindest im ersten Zyklus, der mit wird was wolkenform hat überschrieben ist.

Es ist eine Engführung physisch-visueller Eindrücke mit den kulturellen Sedimenten, abgelagert irgendwo in der Hirnrinde. Ein Aufeinandertreffen von Tradition und Aktualität. Gleichzeitig spiegelt sich Eines im Andern, der Himmel wird Metapher für Welt und die Welt für den Himmel.


Diese Art Gegenläufigkeit findet sich auch im zweiten Zyklus des Bandes: sag mir sirene was eins -neun. Hier bilden nicht die Wolken das Echo erdschwerer Beobachtung, sondern der Gesang der Sirenen, die auch der Zählung nach gegenläufig jenen entgegenstehen. Formstreng, während die Empirie an ihren Rändern zerbröselt.

Manche Teile der Mauer sind immer zu
dünn. Dazu noch die Ritzen an
Fenstern und Türen.


Aber das Profane und der Sirenengesang brauchen einander, sind aufeinander angewiesen.

Eine Formatierung des Flüchtigen. Denn die Wolke ist das Flüchtige schlechthin. Der Wissenschaft der Wolkenforschung, die an das Medium Fotografie gekoppelt war, ist eine recht kurze Zeit beschieden gewesen. Und wie die Wolke selbst, stellte auch die Wolkenforschung ein Episode dar, „Sie reicht von ihrer Begründung – oder Erfindung durch Luke Howard Anfang des 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein, um irgendwann in der Zeit der großen Umwälzungen – zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg –  zerrieben zu werden.“ Das schreibt Marcel Beyer in seinem Essay zu Wolkenstudien. Aber wie die Wolkenforschung sich in die allgemeine Meteorologie auflöste, hielt die Faszination für diese Gebilde doch an. Sie ist eine Konstante seit der Mensch aufrecht geht und den Blick frei in den Himmel gleiten lassen kann.

Hansen ist Altphilologe, kennt die antiken Schlager, darunter Aristophanes‘ Komödie Die Wolken, die dieser aus Rache dafür geschrieben hatte, dass er bei einem Stückewettbewerb nur den dritten Platz zugesprochen bekam. Aristophanes‘ Wolke aber ist Metapher in andere Richtung, das Flüchtige hier wird verachtet. Darauf lässt Hansen sich nicht ein. Und er lässt sein Altphilologen-Wissen an keiner Stelle die Macht über die Gegenwart gewinnen. Hansens Sirenen singen das Heute. Und auch Vergänglichkeit ist dem Sänger bekannt. Ihr ist der letzte Zyklus gewidmet.

farbe löscht form, das ist dem
licht (der grenzen) dann weit
gehend egal.


Man könnte das als Paraphrase auf Brechts Erinnerung an die Marie A. lesen. Es sind die Wolken, an die wir uns erinnern.


Dirk Uwe Hansen: wolkenformate. Frankfurt a.M. (gutleut verlag) 2016. 60 Seiten. 16,00 Euro.

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