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Daniel Bayerstorfer: Wal 1-2-3

Montags=Text
Foto: Ulrich Schäfer-Newiger

Daniel Bayerstorfer
Wal 1-2-3



Wal 1

Der hinterste Teil der Ameise umschließt mein Hirn, krabbelt es
zick-zack durch die Wiese, grasnass sind meine Sinne: der fürs
Bein, die Finger und den Sonnensaurus, den Kastanienwal. Zumal
der seine Blätter aus dem Wasser hält, die Flosse mit fünf Fingern;
am Bauch, da war die Rinde weiß. Er raschelt durch das Meer.    
Genau da ist mein Hirn im Walfischherz. Das pumpt es warm, so
gar nicht ozeanisch nass, denn tief im Säuger kaut der Muskel,
von Fett und Fleisch und einer Halle an Skelett umgeben, meine
Bilder wund, von Gärten, Gräsern und Kastanien. Wie ein Glocken-
schlägel langsam pocht, wird die termitenweiße Rinde meines Denk-
organs gedacht. Erahnt man da den Dunkelsaurus tiefer Gräben,
Wracks. Wohl auch. Und was er so umschließt, das gipfelt in der
Gischt. Ach Insektenbläschen, die so putzig wimmeln und als
Welle prunkt ihr Bau und Hügel. Und was sie singen bis ans Wachs:
Odysseus, deine Glieder kann man aufziehen, dass sie klimpern.



Wal 2

Noch zwei Schläge Walfischherz und mein Hirn bestimmt den
Takt. Die Kontrolle über den Wal ist final, ich pumpe Verse von
Ovid durch die Aorta, dick wie das Stahlseil einer Hängebrücke,
schlängelt sie sich blutig durch sein Fleisch. Der Gedanke an U-
Bahntunnels rüttelt an die Flossen, das Geschrei von Urwaldvögeln
macht ihn sinken, ins Dunkle hinab. Ich sehe nichts, der Kraken,
der die Flanke streift, bleibt eine kontinentale Verschiebung von
Adrenalin. Obwohl wir so weit unten sind, zwischen Rinnen,
Spalten und Getier, muss das hier der Mond sein. Ich fühle es wie
Schnee, der durch die Venen stöbert. Da liegt er doch, in der
Größe eines rund geknüllten Peloponnes. Schief gekult in bleiche
Sedimente, sind seine Krater schon bewohnt. Er leuchtet aus
sich selbst, wie diese Monsterfratzenfische. Vielleicht war er
ein riesen Bündel Flutlicht, dem man das Haupt der Gorgo zeigte.



Wal 3

Aus den Mangrovenwäldern der Nervenstränge, mit einem Ruck
diediedie Kontrolle über den Sehnerv hin zum Hinterauge, Augen-
weiß, durch kleine Rinnsale an Adern, blutige Meridiane, hin zum
Pol, gegen Widerstand, denn in der Iris toben Winde, schepperndes
Gebiet zum Dunkelschwarz, wo alles schweigt: die Aschenbeere, sie
heißt diesmal, nur diesmal Pupille, beiß hinein. Nur hier reift sie
finster. An der Netzhaut ist es bitterkalt, viel kälter als im Rumpf, so
bleibt der Blick am Rand der Tränen fröstelnd stehen und reicht nicht
weiter raus. Du siehst nichts, Jahre braucht’s, bis man sich dann an
dieses Schwarz gewöhnt. Nach Monaten wohl: Fachwerkplankton,
und andre Wesen, halb Sprache, halb Wasser, du bündelst die Sicht,
bis sie brodelt, das Auge, säuglingsschädelgroß, die Fontanelle hin
zur Welle schließt und du nach oben tauchst. Weiter rauf und da siehst
du die Schicht aus so gelbem Gelb, als wären die Wellen aus Leder
geschneidert, dem Leder, das man nur aus den knallgelben Flecken
von Salamandern gewann. Sonnenuntergang.


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