Christoph Michels: in sich nichts
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christoph
michels
in sich nichts
die frühe sonne macht seine haare
noch grauer, so ein helles grau, und die falten liegen weniger tief. er nimmt
ein kiste tomaten aus dem weißen lieferwagen und stellt sie auf eines der
metallgestelle, neben die kochbananen. ein anderer alter geht gebeugt vorbei,
die hände hinter dem rücken verschränkt, bleibt er stehen und grüßt den
grauhaarigen: „salam“ : „salam“ – alles in dieser langsamen freundlichkeit, in
dieser ruhe, hebt er dann orangen aus dem lieferwagen. und hinter ihm, die
kirche, über der straße, den häusern, die turmspitze in dieses klare blau. also
drehe ich mich um und gehe, um ihn nicht zu unterbrechen. die straße ist sonne
und klar und darüber hinaus, ist irgendeine weite. und die geräusche sind: samstagmorgen,
kein hupen, kein autotürenknallen - jemand lacht und ein anderer lacht zurück. die
straße spiegelt sich in den scheiben der parkenden autos und es ist weniger,
aber lauter und weiter. als ob es von hier durch die ganze stadt reichen
könnte.
ich gehe, ohne irgendwohin zu
müssen und halte an, als die ampel auf rot springt. kein einziges auto, die
straße liegt verlassen.
WASCHSALON CITY und wie es wäre,
dort zu sitzen, auf die wäsche zu warten, einfach dort zu sitzen.
als die beiden zwillinge die ampel
kreuzen. ihre blonden haare im wind, die alten männerbeine in roten hotpants,
weiße unterhemden, tragen sie ihre tüten, langsam vorbei.
ein golf mit getönten scheiben
hält. dröhnender bass und der typ, schwarze sonnenbrille, den arm lässig aus dem
fenster hängend, nickt er zum bass.
als dann die ampel auf grün springt,
gehe ich weiter.
der mann vom sarajevo-grill steht
in seinem weißen kittel hinter dem tresen und zerlegt fleisch. wie immer. ich
nicke ihm zu und sein gesicht wird zu diesem grinsen und er nickt zurück.
die hässlichen fassaden haben sich
fast vergessen.
alles geht vor sich hin.
sie lag, lag da, zwischen den
zerwühlten laken, das eine bein unter der bettdecke hervor, ihre ruhige haut,
ihr schlafendes gesicht und als sie dann aufwachte, war wieder etwas anderes in
ihren augen. dass sie da ist. sie ging ins bad, band sich im gehen die haare
hoch und kam mit der zahnbürste zwischen den zähnen wieder ins zimmer. ihr
höschen. ihre brüste. einfach so. ging sie ans fenster, öffnete es und schaute
in die baustelle und durch die zahnbürste hindurch: „was für ein tag“ - - sie
küsste mich und ging ins bad, um die zahnpasta auszuspucken. einfach so.
jemand hupt. ich gehe weiter. die
straße entlang, bleibe stehen, vor einem schaufenster mit kitschigen
brautkleidern, roter tüll, blauer tüll, pailletten – und gehe weiter.
eine kippe aus der tasche ziehend,
weiß ich nicht mehr warum und stecke sie zurück.
vorbei an diesen supermärkten,
KABUL MARKET, VERDI, die jetzt anders laut sind, als sonst. anders.
als auf der anderen straßenseite ein
mädchen in einen starr guckenden typen brüllt: „WARUM MACHST DU DAS?“ und er,
versucht auf sie zuzugehen, aber sie, mit verschränkten armen, brüllt ihn
wieder an: „VERPISS DICH EINFACH“. er dreht sich um und geht, über die straße,
ohne sich noch einmal umzudrehen. und sie steht da, alleine, ihre augen hinter
ihm her und tränen, durch die schminke, durchs gesicht, steht sie, als ob sie
sich nie wieder bewegen könne.
und dann sind es diese bilder: wie
sie - - ihr blick war anders: sie sagte: „ich verstehe nicht, wie du hier
wohnen kannst?“ - - „wie meinst du das?“ - - & in ihrem blick: nichts - -
& „lass uns nicht streiten“ : ihr lachen & wir gingen ins bett – meine
gedanken durchs fenster ins schwarz: drehte ich mich weg von ihr: bis sie näher
& ihr atem & dann auf mir: im licht der straßenlaterne: das blass
durchs fenster - - bis alles vergessen war.
und ist jetzt: irgendeine unruhe: die
kippe aus der tasche - - der rauch - - & dass es nicht besser - -
als ich: in die kaufinger - - ohne
es gemerkt zu haben - - - & dass ich lange nicht hier - - wie sie hektisch:
vollbeladene tüten vorbei tragen: sich in eines der geschäfte schieben: an den
herauskommenden vorbei: überall gedudel: gefasel: im durcheinander - - als:
gebrüll - - eine gruppe: vor einem pavillon: mit plakaten behängt:
ISLAMISIERUNG STOPPEN: faselt so ein geleckter: weißes hemd: unter grüner
steppjacke: rahmenlose brille: so ein bankberater-typ: faselt er
unverständliches in ein mikro & drei stumpf guckende filmen ihn dabei - -
& um den pavillon: absperrgitter & seitlich: polizisten in schwarzer
kampfmontur: mit dem rücken zum geleckten: beobachten sie die menge &
jugendliche: ihre undercuts: trainingsjacken: umgedrehte caps: schieben sie sich
näher an den stand: pfeifend: buhend - - als ich dann: in der menge - - und
sein gefasel: „DER ISLAM IST EINE GENAUSO MENSCHENVERACHTENDE IDEOLOGIE WIE DER
NATIONALSOZIALISMUS“ - - - wird das pfeifen lauter & „HALT’S MAUL DU
HURENSOHN“ : gedränge: schieben sie sich vor & mich & einer versucht
den typen zu packen: gerangel: - - : als die polizisten sich dazwischen - - mit
versteinerten gesichtern: stehen sie & er in ihre rücken: „DAS IST GENAU
DAS WAS ICH MEINE – ICH MUSS MICH HIER VON KINDERN ANGREIFEN LASSEN - - ICH
WILL EINFACH KEINE ANGST MEHR HABEN MÜSSEN, DASS MEINE TOCHTER AM HELLIGTEN
TAGE VON SOLCHEN IDIOTEN VERGEWALTIGT WIRD - - DAS IST JA WOHL NICHT ZU VIEL
VERLANGT - - “ & buhen: pfeifen: brüllen: wird es lauter: „JA DIE WAHRHEIT
TUT WEH – ABER EINER MUSS ES JA MAL AUSSPRECHEN“ & ein alter: klatschend:
ist er der einzige - - & einer der jugendlichen: „VERPISS DICH DU NAZI“ - -
und der alte: „lesen sie lieber mal die bibel – und dann sagen sie mir, wo da
steht, dass wir andere töten sollen - - so wie in ihrem koran - - - “ - - diskutieren
sie & der geleckte: sein grinsen: hinter den bullen: faselt er weiter: „IM
NAMEN DES ISLAM WERDEN TÄGLICH TAUSENDE ABGESCHLACHTET – DAS MUSS AUFHÖREN“ - -
und pfeifen & auch ich: kopfschütteln - - als er auf mich: „WAS SCHÜTTELN
SIE DA JETZT DEN KOPF?“ - - & einer der typen: lange haare: schiebermütze:
schwarze sonnenbrille: die handykamera auf mich & was - - grinse ich ihn an
& er: „WIE KANN MAN DA WIE EIN VOLLIDIOT LACHEN, WENN TAUSENDE IN IHREM
NAMEN ABGESCHLACHTET WERDEN“ & wie er mich - - mit ausgestrecktem
zeigefinger - - & die bullen: ohne irgendetwas – stehen sie nur da &
dann ist es wut & ein zittern in den beinen: in - - in: alles - - - sein
selbstgefälliges - - dieses dämliche gegrinse - & was - - & in eines
der leeren bullengesichter: „sagen sie denen, dass sie mich nicht filmen
sollen“ - - der dann mit gelangweilter ruhe: „ist solange nicht verboten, wie
es nicht veröffentlicht wird“ - - als einer: „bruder, lass dich nicht
provozieren: das ist alles was der idiot will“: sein undercut: sein grinsen
& irgendeine ruhe: wie er mir die hand - - „scheiß auf den, bruder“ - - -
als ein älterer: anscheinend deutscher: sich von hinten näher - - und immer
lauter: über das mikrofongefasel hinweg: sich näher schiebend & sein lachen
& „DUMMSCHWÄTZER DUMMSCHWÄTZER DUMMSCHWÄTZER DUMMSCHWÄTZER DUMMSCHWÄTZER
DUMMSCHWÄTZER IDIOT DUMM-SCHWÄTZER DUMMSCHWÄTZER IDIOT IDIOT IDIOT“ : lacht er
es & auch die eine polizistin: wie dann alle - - muss ich - - ich muss - -
als der typ mir die hand: „hau rein, bruder“ - - & den rest der kippe auf
den boden - - - gehe ich: zwischen den anderen: mit einkaufstüten behängt: wie
sie: sonnenbrillen & selbstgefälliges grinsen: ihre dummen fressen: jeder
um sich selbst & dieses - - diese wut: alles hier niederzu - - niederzuschießen
- - aus dem gewühl in eine der seitenstraßen und wieder: das zittern in den
beinen: setze ich mich an den bordstein: der asphalt: die autos - - rast es
ineinander:
leere augen
auf weißen laken
liegen da
im
flimmern: K
K.
schwarz übers weiß: K.
deine feuchten arme im - -
ich bin hier
& es zerreißt - - kann nicht
im augen - -
dein blick sie
ist - - ist: du bist
aufgeschwemmte kippenreste
sind blass - -
im - - FÜR WAS?
weiß geblichene
knochen
versuche ich es
- - zu schreien:
hallt es im
hirn:
ERSCHIEß MICH
ERSCHIEß DICH ERSCHIEß - -
autohupen: gehupe: näherkommendes –
nicht aufhörendes gehupe - - & ein schatten & wie er auf mich: „EY, DAS
IST NE EINFAHRT“ - - & ich - - stehe auf: als ob ich nicht ich: sehe ich
mich beim aufstehen: dann beim gehen: langsam gehe ich & dreck: jeder stein
ist dreck.