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Charles Bernstein: Angriff der schwierigen Gedichte

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Jan Kuhlbrodt

Zu Charles Bernstein
Angriff der schwierigen Gedichte



Dass alle Kunst Übersetzen sei, schreibt Novalis in seinen Blütenstaubfragmenten, und betritt damit 200 Jahre zu früh die Bühne, um einen Postmodernismus zu etablieren. Zunächst wollte ja die Moderne auf die Bretter, und das Ich erschüttern. Dass die Kulissen, in denen das Ich sich inszenierte nun auch Theater sein sollten, war wohl für das Momentum zu viel. Und wenn alles Übersetzung wäre, wo bliebe dann das Original, und überhaupt, was würde denn übersetzt?
Für eine Weile also hielt man noch an einer Vorstellung des Anderen und der Natur fest, der man ebenfalls Andersheit unterstellte. Und was hätte man sonst auch Okkupieren und Kolonialisieren sollen. Dabei hat diese Überlegung Novalis' auch etwas zutiefst Politisches, weil sie im Grunde auch das tradierte Abendländische Verständnis vom Verstehen angreift, das doch immer nur ein Assimilieren war. Wie die Borg im Science-Fiction-Klassiker Raumschiff Enterprise, zogen wir Europäer über die Welt, um sie uns gleich zu machen (also vollkommen kunstlos).

Vielleicht war es sein Text im Schreibheft, in dem er über Pound schrieb und darauf verwies, dass Verständnis auch bedeutet, die antisemitischen Positionen des irren Amerikaners (also Pound) nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Aber wahrscheinlich kannte ich den Namen schon, und kannte auch schon den einen oder anderen Text von Charles Bernstein.

Rezeptionstechnisch wird mir die Erschließung seines Werkes in Deutschland seit dem laufenden Jahr durch zwei Publikationen enorm erleichtert. Auf das Buch der Gruppe Versatorium hatte ich an dieser Stelle schon hingewiesen. Jetzt also ist (endlich) die umfangreiche Sammlung Angriff der schwierigen Gedichte der Gruppe um Norbert Lange im Wiesbadener Verlag luxbooks erschienen.
Charles Bernstein wurde 1950 in New York geboren. Er gehört zur Gruppe der L=A=N=G=U=A=G=E Poets, deren Zusammenhang eher in theoretischen Überlegungen, als in ihren lyrischen Produkten zu finden ist. Zentral ist die aktive Rolle des Lesers, der in der Rezeption den Text gewissermaßen erst hervorbringt und somit auch den Autor und dessen quasi natürliche Präsenz hinter dem Text verschwinden lässt.

Zugespitzt formuliert wird das tradierte Verhältnis von Leser und Autor in einen dynamischen Prozess umgewandelt. Diese Position ist mir sehr nahe, nicht nur, weil damit dem Autor das Deutungsprivileg am eigenen Text abgesprochen wird.

Natürlich ergeben sich daraus für eine Übersetzung enorme Konsequenzen und die Frage der Texttreue stellt sich auf einer anderen Ebene neu. Was bedeutet das Original? Und worin besteht der Versuch, ihm nahezukommen. Während das Buch der Versatoriumgruppe dieses Problem versucht auf eine gewisse spielerische Art zu lösen, und dabei die Grenzen des Mediums erweitert und überschreitet, findet es hier einen rein literarischen, aber dabei nicht minder konsequenten Niederschlag. Der Leser (und damit auch der Übersetzer, der ja zunächst auch nichts anderes ist als Leser) trägt gewissermaßen seinen eigenen Referenzrahmen an das Gedicht heran, verwandelt es. Verwandelt es in eine andere Sprache zuweilen, aber immer in ein anderes Gedicht. Das bedeutet aber auch, dass der Leser während der Lektüre nicht in die Rolle des passiven Beobachters entlassen wird. Das ganze bleibt Prozess und das Gedicht verändert sich bei jeder Lektüre.

Besonders augenscheinlich wird das an einem Text im Buch, der SOLIDARITY IS THE NAME WE GIVE TO WHAT WE CAN NOT HOLD, ein Gedicht, das in der Übertragung Gemeinschaft ist der Name für das, was wir nicht festhalten können heißt. Die Übersetzung im Buch stammt von Tobias Amslinger, und er übersetzt das Gedicht gleichsam aus einer Transkontinentalen Position in die mehr oder weniger bürgerliche Enge der Berliner Neuzeit. Dabei passt er auch die geografischen Referenzen an. Das ist ein doppelter Spaß, wenn sich ein eher weitläufig maritimes Denken einen Platz in einer Eckneipe unter Binnenschiffern sucht. Daraus entsteht natürlich ein explosives Gemisch. Aber das ist nur ein Beispiel. Die Übersetzungen sind wie die englischen Texte nicht auf ein einheitliches Verfahren zu reduzieren. Besonders deutlich wird das dort, wo Übersetzungsvarianten angeboten werden wie bei dem Gedicht AS RIVERS WOULD BE DRY AS RHYMES. Dieses Gedicht, das mit dem Vers what verse would be endet, bietet sich geradezu an, die Möglichkeiten von Übersetzung durchzuspielen. Ein großartiges Buch.



Charles Bernstein: Angriff der schwierigen Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Zweisprachig. Aus dem Amerikanischen von Tobias Amslinger, Norbert Lange, Léonce W. Lupette und Mathias Traxler. Wiesbaden (luxbooks) 2014. 380 Seiten. 29,80 Euro.

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