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Charles Baudelaire: Der Maler des modernen Lebens, 9

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay


Charles Baudelaire

Der Maler des modernen Lebens

Figaro. 26 et 29 novembre, 3 décembre 1863 (F) – fertig 1860/61

Übersetzt von Werner Wanitschek


IX

DER  DANDY



Der reiche, müßige Mann, und selbst wenn er blasiert ist, hat keine andere Beschäftigung, als auf der Rennbahn des Glücks zu laufen; der im Überfluß aufgewachsene und seit seiner Kindheit an den Gehorsam der anderen Männer gewohnte Mann, derjenige schließlich, der keinen anderen Beruf hat als den feinen Geschmack, wird immer, zu allen Zeiten, einen bestimmten, ganz besonderen Gesichtsausdruck besitzen. Der Dandysmus ist eine unbestimmte Regel, ebenso absonderlich wie das Duell; sehr alt, da Cäsar, Catilina, Alkibiades uns davon schon glänzende Muster bieten; sehr allgemein, da Chateaubriand sie schon in den Wäldern und am Ufer der Seen der Neuen Welt gefunden hat. Der Dandysmus, der eine Regel außerhalb der Gesetze ist, hat strenge Gesetze, denen all ihre Untertanen strikt unterworfen sind, wie groß auch immer Ungestüm und Unabhängigkeit ihrer Natur sein mögen.
    Die englischen Romanschriftsteller haben mehr als die anderen den Roman high life gepflegt, und die Franzosen, die, wie Herr de Custine, besonders Liebesromane haben schreiben wollen, haben zunächst dafür Sorge getragen, und zwar sehr verständig, ihre Gestalten mit ziemlich umfangreichen Vermögen auszustatten, um ohne Zaudern alle ihre Launen zu bezahlen; außerdem haben sie sie jedes Berufes überhoben. Diese Wesen haben keinen anderen Beruf, als in ihrer Person die Idee des Schönen zu pflegen, ihre Leidenschaften zu befriedigen, zu fühlen und zu denken. Sie besitzen somit, nach ihrem Belieben und in einem umfangreichen Maße, die Zeit und das Geld, ohne welche die auf ihren Zustand flüchtiger Träumerei beschränkte Laune sich kaum in Handlung übertragen kann. Leider ist es nur allzu wahr, daß ohne Muße und Geld die Liebe nur eine Nichtadligenorgie oder die Erfüllung einer ehelichen Pflicht sein kann. Statt einer glühheißen oder träumerischen Laune wird sie zu einer abstoßenden Nützlichkeit.
    Wenn ich bei Gelegenheit des Dandysmus von der Liebe spreche, so weil die Liebe die natürliche Beschäftigung der Müßigen ist. Doch der Dandy zielt nicht auf die Liebe als besonderen Zweck ab. Wenn ich von Geld sprach, so weil das Geld unbedingt notwendig ist für die Leute, die einen Kult aus ihren Leidenschaften machen; doch strebt der Dandy nicht nach Geld als etwas Wesentlichem; ein unbestimmter Kredit könnte ihm genügen; er überläßt diese gemeine Leidenschaft den gewöhnlichen Sterblichen. Der Dandysmus ist nicht einmal, wie wenig nachdenkende Leute zu glauben scheinen, ein unmäßiges Verlangen nach Kleidung und materieller Eleganz. Diese Dinge sind für den vollendeten Dandy nur ein Symbol der aristokratischen Überlegenheit seines Geistes. Daher besteht in seinen vor allem für den Unterschied schwärmenden Augen die Vollendetheit der Kleidung in der vollkommenen Einfachheit, die, in der Tat, die beste Weise, sich zu unterscheiden, ist. Was also ist diese Leidenschaft, die, zur Doktrin geworden, gebieterische Anhänger erzeugt hat, diese ungeschriebene Regel, die eine so hochmütige Kaste hervorgebracht hat? Es ist vor allem das brennende Verlangen, eine Originalität zu werden, innerhalb der äußeren Schranken der Konvention. Es ist eine Art Eigenkult, der die Suche nach dem Glück, das man im anderen, in der Frau zum Beispiel, findet, zu überdauern vermag, der sogar all das, was man die Illusionen nennt, zu überdauern vermag. Es ist das Vergnügen, zu erstaunen, und die stolze Befriedigung, niemals erstaunt zu sein. Ein Dandy kann ein blasierter Mann sein, vielleicht ein leidender Mann, doch in diesem letzten Fall wird er lächeln wie der Lakedämonier unter dem Biß des Fuchses.
    Man sieht, daß der Dandysmus von gewissen Seiten an den Spiritualismus und den Stoizismus grenzt. Aber ein Dandy kann niemals ein gewöhnlicher Mann sein. Wenn er ein Verbrechen beginge, wäre er möglicherweise nicht herabgesunken; aber wenn dieses Verbrechen einen gemeinen Ursprung hätte, wäre die Unehre nicht wieder gut zu machen. Möge der Leser sich nicht entrüsten über diese Würde im Leichtfertigen und sich daran erinnern, daß es Größe in allen Torheiten, eine Kraft in allen Übertreibungen gibt. Seltsamer Spititualismus! Für diejenigen, die zugleich seine Priester und seine Opfer sind, sind alle komplizierten materiellen Bedingungen, denen sie sich unterwerfen, angefangen von der tadellosen Kleidung zu jeder Tages- und Nachtzeit bis hin zu den gefährlichsten Mutproben des Sport, lediglich eine Übung geignet, den Willen zu stärken und den Geist zu disziplinieren. In der Tat hatte ich nicht gänzlich unrecht, den Dandysmus als eine Art von Religion zu betrachten. Die strengste Mönchsordensregel, die unwiderstehlichste Anweisung des Alten vom Berge, der seinen betrunkenen Anhängern den Selbstmord befahl, waren nicht despotischer noch mehr befolgt als diese Doktrin der Eleganz und der Originalität, die, auch sie, ihren Ehrgeizigen und ihren demütigen Sektierern, oft hitzige, leidenschaftliche, mutige, tatkräftig-beherrschte Männer, den furchtbaren Spruch auferlegt: Perinde ac cadaver!
    Mögen diese Männer Raffinés, Incroyables, Beaus oder Dandys genannt werden, alle haben den gleichen Ursprung; alle haben etwas vom gleichen Widerstands- und Auflehnungsgeist; alle sind Vertreter von dem, was es Bestes gibt im menschlichen Stolz, von diesem Bedürfnis, nur zu selten bei den Heutigen, das Gemeine zu bekämpfen und zu zerstören. Von daher rührt, bei den Dandys, diese hochmütige Haltung einer bei aller Kälte provozierenden Kaste. Der Dandysmus erscheint vor allem in Übergangszeiten, wo die Demokratie noch nicht allmächtig ist, wo die Aristokratie erst teilweise wankend und herabgewürdigt ist. In der Verwirrung solcher Zeiten können einige gesellschaftlich Gesunkene, Überdrüssige, Müßige, doch allesamt reich an ursprünglicher Kraft, den Plan ersinnen, eine neue Art von Aristokratie zu gründen, die um so schwieriger abgeschafft werden kann, als sie auf den kostbarsten, den unzerstörbarsten Fähigkeiten beruht sowie auf Himmelsgaben, die die Arbeit und das Geld nicht verleihen können. Der Dandysmus ist das letzte Aufblitzen von Heldentum in den Verfallszeiten; und das vom Reisenden in Nordamerika vorgefundene Urbild des Dandy entkräftet in keiner Weise diesen Gedanken: denn nichts hindert uns anzunehmen, daß die Volksstämme, die wir wilde nennen, Reste großer untergegangener Zivilisationen seien. Der Dandysmus ist eine untergehende Sonne; wie das Gestirn, das sich neigt, ist er prächtig, ohne Wärme und voll Melancholie. Aber leider! die alles überschwemmende und alles gleichmachende Flut der Demokratie ertränkt Tag für Tag diese letzten Vertreter des menschlichen Stolzes und gießt Ströme von Vergessen über die Spuren dieser wunderbaren Myrmidonen. Die Dandys werden bei uns immer seltener, während bei unseren Nachbarn in England der gesellschaftliche Zustand und die Verfassung (die wahre Verfassung, die die sich durch die Sitten ausdrückt) den Erben Sheridans, Brummels und Byrons noch lange einen Platz lassen werden, wenn sich solche, die seiner würdig sind, melden.
    Was dem Leser eine Abschweifung scheinen mochte, ist in Wahrheit keine. Die Überlegungen und die moralischen Träumereien, die aus den Zeichnungen eines Künstlers auftauchen, sind in vielen Fällen die beste Übersetzung, die ein Kritiker von ihnen machen kann; die Eingebungen sind Teil eines Hauptgedankens, und indem man sie nach und nach vorzeigt, kann man ihn ahnen lassen. Muß ich sagen, daß Herr G, wenn er einen seiner Dandys auf dem Papier entwirft, er ihm immer seinen historischen Charakter verleiht, legendären sogar, würde ich mich zu sagen getrauen, wenn nicht die Rede wäre von der jetzigen Zeit und von gemeinhin als leichtfertig angesehenen Dingen? Da haben wir genau diese Leichtigkeit im Verhalten, diese Sicherheit im Benehmen, diese Einfachheit in der Herrschaftsmiene, diese Art, einen Frack zu tragen und ein Pferd zu lenken, diese stets ruhigen, doch Kraft verratenden Gebärden, die uns denken lassen, wenn unser Blick eines dieser privilegierten Wesen entdeckt, in denen sich das Hübsche und das Furchterregende so geheimnisvoll vermischen: »Da haben wir vielleicht einen reichen Mann, doch eher einen  beschäftigungslosen Herkules.«
    Das Schönheitsmerkmal des Dandy besteht vor allem in dem kalten Äußeren, welches von dem unerschütterlichen Entschluß kommt, sich nicht rühren zu lassen; man könnte ihn für ein verborgenes, erahnbares Feuer halten, welches erstrahlen könnte, aber nicht will. Dies ist es, was in diesen Bildern vollkommen ausgedrückt ist.


Zu Teil 10: Die Frau »

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