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Charles Baudelaire: Der Maler des modernen Lebens, 8

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay

Skizze von Constantin Guys, 1854,
in den Straßen von Istanbul


Charles Baudelaire

Der Maler des modernen Lebens

Figaro. 26 et 29 novembre, 3 décembre 1863 (F) – fertig 1860/61

Übersetzt von Werner Wanitschek


VIII

DAS  MILITÄR




Um ein weiteres Mal die Art der vom Künstler bevorzugten Gegenstände zu bezeichnen, wollen wir sagen, daß es der Prunk des Lebens ist, so wie es sich in den Hauptstädten der zivilisierten Welt darbietet, der Prunk des militärischen Lebens, des eleganten Lebens. Unser Beobachter ist immer pünktlich auf seinem Posten, überall wo die gewaltigen und ungestümen Begierden strömen, die Orinokos des Menschenherzens, der Krieg, die Liebe, das Spiel; überall, wo die Feste und die Erdichtungen wogen, die die großen Grundbestandteile von Glück und Unglück darstellen. Doch zeigt er eine ausgesprochene Vorliebe für das Militär, für den Soldaten, und ich glaube, daß diese Zuneigung nicht nur herrührt von den Eigenschaften und Qualitäten, die notwendigerweise von der Seele des Kriegers in seine Haltung und sein Gesicht übergehen, sondern auch von der in die Augen fallenden Zier, mit der ihn sein Beruf ausstattet. Herr Paul de Molènes hat einige ebenso reizende wie gescheite Seiten geschrieben, über die militärische Koketterie und über den moralischen Sinn dieser funkelnden Kostüme, in die alle Regierungen ihre Truppen gern kleiden. Herr G. würde diese Zeilen bereitwillig unterschreiben.
    Wir haben schon von der Eigentümlichkeit einer besonderen Schönheit zu jeder Epoche gesprochen, und wir haben schon bemerkt, daß jedes Jahrhundert, sozusagen, seinen persönlichen Reiz hat. Die gleiche Bemerkung läßt sich anwenden auf die Berufe; jeder gewinnt seine äußere Schönheit aus den moralischen Gesetzen, denen er unterworfen ist. Bei den einen wird diese Schönheit durch Tatkraft gekennzeichnet sein, und bei anderen wird sie die sichtbaren Zeichen des Müßiggangs tragen. Es ist gewissermaßen das Sinnbild des Charakters, es ist der Stempel der Schicksalhaftigkeit. Der Soldat, allgemein gesehen, hat seine Schönheit, wie der Dandy und das leichte Mädchen die ihre, aus einem wesentlich anderem Geschmack. Man wird es natürlich finden, daß ich die Berufe, wo eine einseitige und gewaltsame Übung die Muskeln verunstaltet und das Gesicht mit Zwang zeichnet, außer acht lasse. An Überraschungen gewohnt, ist der Soldat kaum zu erstaunen. Das besondere Zeichen von Schönheit wird also hier eine kriegerische Unbekümmertheit sein, eine seltsame Mischung aus Sanftheit und Kühnheit; es ist eine Schönheit, die auf der Notwendigkeit beruht, zu jeder Minute bereit zum Sterben zu sein. Doch das ideale Gesicht des Soldaten sollte von einer großen Einfachheit geprägt sein; denn da sie in Gemeinschaft leben wie die Mönche und die Schüler, die gewohnt sind, die alltäglichen Sorgen des Lebens auf eine abstrakte Vaterschaft zu übertragen, in vielen Dingen ebenso einfach wie die Kinder; und wie die Kinder sind sie nach erfüllter Pflicht leicht zu vergnügen und zu gewalttätigen Belustigungen geneigt. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, daß all diese moralischen Überlegungen auf natürliche Weise Herrn G.’s Skizzen und Aquarellen entspringen. Kein Soldatentyp fehlt darin, und alle sind mit einer Art begeisterter Freude erfaßt: der alte ernste und traurige Infanterieoffizier, dessen Beleibtheit seinem Pferd zu schaffen macht; der hübsche Stabsoffizier, eingeschnürt in der Taille, sich in den Schultern wiegend, sich ohne Zaghaftigkeit über den Sessel der Damen beugend und der, von hinten gesehen, an die schlankesten und elegantesten Insekten denken läßt; und der Zuave und der Scharfschütze, die in ihrer Haltung einen übermäßigen Charakter von Kühnheit und Unabhängigkeit und gewissermaßen ein stärkeres Gefühl persönlicher Verantwortung zeigen; die flinke und fröhliche Ungezwungenheit der leichten Kavallerie; das leicht professorale und akademische Aussehen der Sondereinheiten wie die Artillerie und die Kriegsbaukunst, das sich bestätigt durch das wenig kriegerische Gerät der Brillen; keines dieser Modelle, keiner dieser Unterschiede sind vernachlässigt, und alle sind mit der gleichen Liebe und dem gleichen Geist wiedergegeben und geschildert.
    Ich habe gerade vor Augen eine dieser Kompositionen von einem wahrhaft heldenhaften allgemeinen Ausdruck, die die Spitze einer Infanteriekolonne darstellt; vielleicht sind diese Männer zurück aus Italien und machen einen Halt auf den Boulevards angesichts der Begeisterung der Menge; vielleicht haben sie gerade eine lange Wegstrecke auf den Landstraßen der Lombardei hinter sich; ich weiß nicht. Was sichtbar, vollkommen erkennbar ist, ist der selbst in seiner Ruhe feste, kühne Wesenszug all dieser von Sonne, Regen und Wind gebräunten Gesichter.
    Da haben wir die durch Gehorsam und gemeinschaftlich ertragenes Leid geschaffene Gleichförmigkeit im Ausdruck, die gefaßte Miene des durch lange Strapazen bewährten Mutes. Die Hosen aufgestreift und von Gamaschen umschlossen, die vom Staub gebleichten, unbestimmt entfärbten Mäntel, die ganze Ausrüstung schließlich hat selbst das unzerstörbare Aussehen der Wesen angenommen, die von weit her kommen und sonderbaren Abenteuern ausgesetzt waren. Man möchte meinen, daß alle diese Männer sicherer in ihrem Kreuz ruhen, fester auf ihren Beinen stehen, sich gerader halten, als das bei anderen Männern möglich ist. Wenn Charlet, der immer auf der Suche nach dieser Art von Schönheit war und sie so oft gefunden hat, diese Zeichnung gesehen hätte, wäre er davon außerordentlich beeindruckt gewesen.


Zu Teil 9: Der Dandy »

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