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Charles Baudelaire: Der Maler des modernen Lebens, 7

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay


Charles Baudelaire

Der Maler des modernen Lebens

Figaro. 26 et 29 novembre, 3 décembre 1863 (F) – fertig 1860/61

Übersetzt von Werner Wanitschek



VII

FESTZÜGE  UND  FEIERLICHKEITEN



Die Türkei hat auch unserem lieben G. wunderbare Motive zur Ausarbeitung geliefert: die Feste des Bairam, gewaltige und glanzüberströmte Herrlichkeiten, in deren Hintergund wie eine bleiche Sonne der ständige Verdruß über den verstorbenen Sultan erscheint; zur Linken des Herrschers sind alle Beamten aufgestellt, zur Rechten alle Offiziere, deren höchster Said Pascha ist, der Sultan von Ägypten, damals zugegen in Konstantinopel; Gefolge und feierliche Aufzüge ziehen vorbei zur kleinen Moschee in der Nähe des Palastes, und, inmitten der Massen, türkische Beamte, wahre Karikaturen von Dekadenz, die ihre herrlichen Pferde unter der Last einer unglaublichen Fettleibigkeit erdrücken; die schweren ungefügen Wägen, eine Art von Karossen Louis XIV., von der orientalischen Laune vergoldet und verziert, woraus manchmal neugierig weibliche Blicke schießen, durch den genauen Zwischenraum, den die eng dem Gesicht anliegenden Musselinstreifen den Augen lassen; die rasenden Tänze der Ballettänzer des dritten Geschlechtes (nie war Balzacs spaßige Äußerung passender angebracht als in dem vorliegenden Fall, denn unter dem Zucken dieser bebend aufblitzenden  Augen, unter dem Wirbel dieser weiten Gewänder, unter dieser heißen Schminke der Wangen, Augen und Brauen, in diesen hysterischen und krampfhaften Bewegungen, an diesen bis zu den Hüften herabwallenden Haaren würde es Ihnen schwerfallen, um nicht zu sagen unmöglich sein, die Mannheit zu entdecken); schließlich, die galanten Frauen (wenn man überhaupt das Wort Galanterie in bezug auf den Orient aussprechen kann), im allgemeinen bestehend aus Ungarinnen, Walachinnen, Jüdinnen, Polinnen, Griechinnen und Armenierinnen; denn unter einer despotischen Regierung sind es die unterdrückten Völker und unter diesen die, die am meisten zu leiden haben, die die meisten der Prostitution Ergebenen aufbringen. Von diesen Frauen haben die einen ihr Nationalkostüm beibehalten, kurzämlige gestickte Westen, mit herabhängendem Schultertuch, weiten Hosen, zurückgebogenen Pantoffeln, gestreiften, Lamé-durchwirkten Nesseltüchern und all dem Flitterwerk des Heimatlandes; die anderen, und das sind die meisten, haben das Hauptmerkmal der Zivilisation übernommen, welches für eine Frau unveränderlich der Reifrock ist, dabei dennoch an einem Fleck ihres Putzes eine leise Erinnerung an den Orient bewahrend, so daß sie aussehen wie Pariserinnen, die sich hätten verkleiden wollen.
    Herr G. malt ganz vorzüglich den Prunk offizieller Szenen, die nationalen Festzüge und Feierlichkeiten, durchaus nicht kalt, belehrend, wie die Maler die in diesen Werken nichts als einträgliche Fronarbeiten sehen, sondern mit all dem Feuer eines Mannes begeistert von Raum, von Perspektive, von Licht, das sich zur glatten Fläche ausbreitet oder explodiert und als Tropfen oder als Funken an den Uniformen oder der Hofkleidung hängenbleibt. Die Gedenkfeier zur Unabhängigkeit in der Kathedrale von Athen bietet ein bemerkenswertes Beispiel für diese Begabung. Alle diese kleinen Gestalten, deren jede so recht an ihrem Platz ist, machen den sie enthaltenden Raum tiefer. Die Kathedrale ist gewaltig und geschmückt mit feierlichen Tapeten-Behängen. Der König von Othoni und die Königin, erhöht stehend, mit dem traditionellen Kostüm bekleidet, das sie mit einer wunderbaren Ungezwungenheit tragen, wie um die Aufrichtigkeit ihrer Wahl und den verfeinertsten hellenischen Patriotismus zu bezeugen. Die Taille des Königs ist geschnürt wie die des schmuckesten Palikaren, und sein Rock fällt glockenförmig mit der ganzen Übertreibung des nationalen Dandysmus. Von vorn nähert sich ihnen der Patriarch, ein Alter mit gebeugten Schultern, langem weißen Bart, die kleinen Augen sind durch eine grüne Brille geschützt, in seinem ganzen Wesen weist er alle Anzeichen eines vollendeten orientalischen Phlegmas auf. Alle Personen, die diese Komposition ausfüllen, sind Porträts, und eines der merkwürdigsten, wegen der Seltsamkeit ihres alles andere als hellenischen Gesichtes, ist das einer deutschen Dame, neben der Königin stehend, zu ihren Diensten.
    In Herrn G.’s Kollektion stößt man oft auf den Kaiser der Franzosen, dessen Gestalt er verkleinern konnte, ohne der Ähnlichkeit Abbruch zu tun, als unfehlbare, mit der Sicherheit eines Namenszuges ausgeführte Skizze. Manchmal nimmt der Kaiser die Parade ab, im Galopp seines Pferdes dahinjagend und begleitet von Offizieren, deren Züge leicht zu erkennen sind, oder von ausländischen Fürsten, europäischen, asiatischen oder afrikanischen, denen er sozusagen den Wirt von Paris macht. Manchmal sitzt er unbeweglich auf einem Pferd, dessen vier Beine ebenso stillstehend sind wie die eines Tisches, mit der Kaiserin im Amazonenkostüm zur Linken und zur Rechten den kleinen kaiserlichen Prinzen, mit einer Pelzmütze bedeckt, in militärischer Haltung auf einem kleinen struppigen Pferd, wie die Ponys, die die englischen Maler gern in ihren Landschaften galoppieren lassen; manchmal verschwindet er im Wirbel aus Licht und Staub in den Alleen des Bois de Bologne; ein andermal geht er langsam durch die Jubelrufe der Faubourg Saint-Antoine. Eins dieser Aquarelle hat mich vor allem betört durch seinen magischen Charakter. Über dem Rand einer Loge von schwerer und fürstlicher Pracht wird die Kaiserin sichtbar in gelassener und  ruhiger Haltung; der Kaiser lehnt sich leicht über, wie um das Theater besser zu sehen; darunter zwei Leibgardisten, aufrecht, in militärischer fast priesterlicher Regungslosigkeit, bekommen auf ihre Glanzuniformen die Dreckspritzer von der Rampe ab. Hinter dem Lichtstreifen, in der idealen Atmospäre der Szene, singen, deklamieren, machen wohlgefällige Gebärden die Schauspieler; auf der anderen Seite erstreckt sich ein Abgrund schwachen Lichts, ein kreisförmiger Raum auf allen Etagen angefüllt mit menschlichen Gestalten: es ist der Kronleuchter und das Publikum.
    Die Volksunruhen, die Klubs und die Feierlichkeiten von 1848 hatten Herrn G. gleichfalls eine Reihe pittoresker Ausarbeitungen eingebracht, von denen die meisten vom Illustrated London News graviert worden sind. Vor einigen Jahren, nach einem für sein Talent sehr fruchtbaren Aufenthalt in Spanien, stellte er ebenfalls ein Album von gleicher Art zusammen, von dem ich nur einzelne Stücke gesehen habe. Die Unbekümmertheit, mit welcher er seine Zeichnungen verschenkt oder verborgt, setzt ihn oft der Gefahr unwiederbringlicher Verluste aus.


Zu Teil 8: Das Militär »

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