Direkt zum Seiteninhalt

Cecilia Domínguez Luis: Notizbuch des Wahnsinns

Montags=Text


Cecilia Domínguez Luis

Drei Gedichte
aus dem "Notizbuch des Wahnsinns"

übersetzt und mit einer Einführung versehen von
Birgitt Jöckel, Ortrud Jörg-Fuchs
und Barbara Legrum


Einführung

Die Gedichte der 1948 in Teneriffa geborenen kanarischen Dichterin Cecilia Domínguez Luis stammen aus dem Zyklus „Notizbuch des Wahnsinns“ mit dem Untertitel „Vier Monate und ein Tag“ und sind als 123 Strichmarkierungen an einer imaginären Gefängniswand zu verstehen.

Dieses Gefängnis, in jedem Fall ein Ort der Isolation, könnte natürlich ein reales Gefängnis sein, ist aber  im Gesamtzusammenhang der Gedichte eher als eine Institution für psychisch kranke Menschen zu verorten, wie schon der Titel suggeriert. Orte, wie diese, an denen man während der Zeit der Franco - Diktatur  - und einiger Jahre des Übergangs danach - nicht nur Menschen bestraft oder geheilt hat, sondern wo auch unbequeme Zeitgenossen bestenfalls „ ruhiggestellt“ wurden.

Viele dieser Vorkommnisse sind bis zum heutigen Tag - sowohl politisch wie persönlich -  nicht aufgearbeitet oder, wie im Fall des Protagonisten des Notizbuchs , der als  ein von dieser Zeit gezeichnetes Opfer gelten darf, so künstlerisch verbrämt, dass eine Vielzahl von Interpretationen möglich sind.

Der Schwebezustand, das Unbenannte in den Texten, die Andeutungen werden dominiert durch Metaphern und allegorische Bilder, die es der Dichterin überhaupt erst erlaubten, eigene Erfahrungen und Miterlebtes durch Zeugen dieser Epoche noch einmal dichterisch nachzuvollziehen -  als ein Versuch der Bewältigung.

Das Trauma, das in jedem einzelnen der 123 Gedichte auf ganz unterschiedliche Weise thematisiert wird, kann als ein persönliches (Leid, Verlust, Schuld) interpretiert werden, aber auch als ein gesellschaftliches, religiöses oder politisches (Unterdrückung, Bedrohung, Gewalt). Es findet in jedem der Gedichte seinen ganz individuellen Ausdruck und muss immer wieder von neuem definiert werden.



Erster Monat, Tag 1

Erzähl mir von diesem wilden Tier, das wieder Besitz von mir ergreift, wenn du verschwindest.
Meine Armee desertiert jede Nacht, und auch mein Rudel.
Sie flüchten vor meinen streitbaren Gesängen und vereiteln meinen Sieg.
Dann schreie ich auf, und das Echo ist ein Heulen,

das die Hügel des Windes emporjagt.
Ich erwache in dem Bett, wo dein Körper am Morgen eine tiefe leere Stelle hinterlässt.
Mein Abbild, spiegelverkehrt, zeigt meine  Krallen,
welche die noch zuckende Seele der Wölfe festhalten.



Erster Monat, Tag 6

Der Mond erhellt mein Fenster und ich verhülle die Spiegel,
damit du mich nicht von dieser Tiefe aus anblickst, die mich der Fehltritte anklagt,
die in die Bahnen deines Blutes gelangen könnten.
Mich verwirrt dieses Licht, vor dem mein Schatten flieht, und ich schließe die Fensterläden.
Ich muss wach bleiben, bis der Wind schließlich meine Spuren auslöscht
und sich der erstickende Geruch der Lilien verliert.
Einige Schritte eilen auf dem schmalen Weg, der von deinem Herzen zu dem meinem führt,

und ich habe Angst, dass dieser verhängnisvolle Mondstrahl vor mir ankommen könnte.


Dritter Monat, Tag 9

Ich werde dir nicht erzählen, was ich unter den Fliesen des Gartens verberge,
noch werde ich dir gestehen, wie weit das Aroma der Eukalyptusbäume reicht.
Auch das Losungswort werde ich dir nicht offenbaren,
welches dir die Türen meiner Schuld öffnen könnte.
Du wärst die traurigste Kreatur und würdest vor dir selbst flüchten bis zu dem
Mastixbaum, unter dem du schläfst.
Denke an die blitzschnelle Zunge der Kröten, die Leuchtfeuer fangen kann.
Mein Exil sind diese Windungen der Erinnerung,
diese Türschwellen, die sich öffnen an der Stelle, wo sich die Muscheln schließen.
Das Wort, das war oder das sein wird, schläft im Innern der Kathedralen, die ich
bearbeite, Stein auf Stein.
Ein Leuchtturm, ein Licht, das die verlassenen Korridore aufzeigen möge,
wird der ganze Schatz der Heiligen und der Streitrosse sein, die mich umkreisen.
Nichts kann ich dir sagen. Es zu benennen ist der Anfang,  
                                    und ich ahne schon das  Ende des Wegs.


Zu den Originalen »

Die Übersetzerinnen (v.l.n.r.) Birgitt Jöckel, Ortrud Jörg-Fuchs, Barbara Legrum

Zurück zum Seiteninhalt