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Botho Strauß: Lichter des Toren

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Jörg Neugebauer

"...wie wenn dich Blicke wacher Frauen streifen"



Eine Rezension dieser Schrift zu beginnen, fällt nicht unbedingt leicht. Mächtig gebildet kommt sie daher, anekdotisch Anmutendes, Aphoristisches, gar ein Pamphlet? Dazu ständig Bezüge auf physikalische Sachverhalte, Mythologie, das ganze abendländische Denken - nicht das fernöstliche, von dem ist nirgends die Rede, und doch ist es anwesend zwischen den Zeilen, und so kann man die Schrift auch lesen. Sich dem Duktus der Sprache hinzugeben, fällt weniger schwer, wenn man nicht ständig nach genauen Bedeutungen fragt. Also Irrationalismus?


Der Untertitel spricht vom "Idioten", der Begriff wird in der Schrift in zweierlei Sinn gebraucht: Einmal als der idiotes, der Ungesellige oder Unbeteiligte - the loner, wie er gerade in einem neuen Song von Black Sabbath wieder zu Ehren kommt ("he never says hello") - der "Unverbundene, der Unbegreifliches spricht". Zugleich gebe es, in ungleich größerer Zahl und quasi den Typus unseres Zeitalters ausmachend, den Idioten als "Parodie des Informierten", den ins Netz verstrickten "Info-Dementen". Seine Allgegenwart bewirke "den ästhetischen Urfehler, das Hohe zugunsten des Breiten abzuwerten", wobei die Kunst "liebedienerisch" beispringe, "mit Quote und breitem Publikum". Der Typus des Außenseiters sei aus der Literatur verschwunden, kein Wunder, wenn Dazugehören Selbstzweck ist, auch in der Literatur.


"Transparenz", "Öffentlichkeit", "Aufklärung" laute die "zentraldemokratische Heilsformel", der die "Kunst der Diskretion" fremd geworden sei. "Soll denn das Abwegige schweigen?", wird in der Schrift Benn zitiert, auch er wäre mit dieser Haltung heute ein "Abgesonderter", ein Idiot der ersteren Kategorie. Gegen das "alles inkludierende System" beschwört die Schrift den "ausgewählten Zirkel", nicht nach dem Muster Georges, eher als "ausschließendes Prinzip" zur "Abwehr anmaßender Dürftigkeit".

Immer wieder bricht in ihr die Klage durch, sich zur Anklage verschärfend:


"Aber ihr Freizügigen! Seid ja geschlossener verhangen als jede Muslimin im Ganzkörpertuch. Eure Burqa ist eine feste Hülle aus Sprachlumpen (...)"


Und immer wieder zitiert die Schrift Paul Valéry, betont provokativ die "eiskalte Isolation seines Denkens", die ihn zum "reflektiertesten Menschen seiner Zeit" gemacht habe - und nicht etwa "geistiger Austausch" (höhnisch in Anführungszeichen gesetzt!).
Sie singt das Loblied des Anachronistischen, gerade "die Dichtung" (schon diese Wortwahl unterstreicht's) müsse "zu sieben Achteln anachronistisch sein". Zeitwidrig auch oder gerade, indem sie sich nicht daran beteilige, alles auf den Punkt bringen zu wollen, sondern der Sprache den Nimbus, den "Hof" belasse, den sie brauche, um sich nicht im Geschwätz zu verlieren:

"Flüchtig die tieferen Dinge berühren (...). Nur eben so. Nur gerade eben so. Umgang mit Ideen etwa so, wie wenn dich Blicke wacher Frauen streifen."


Und das beherzigt die Schrift auch selbst. So wohl will sie gelesen sein. Nicht übergriffig auf ihren Informationsgehalt abgeklopft, nicht wie so vieles andere heute zwangsentblößt und mit dem selbstgerechten Transparenzscheinwerfer ausgeleuchtet bis in intimste Winkel:


"Worte im Klartext sind in der Sprache so viel wie das Verlanden stoffreicher Niedermoore im Bruchwald. Das Gesagte, Ausgesagte sucht in jedem Satz seine sinnreiche Zurückgezogenheit, weil es wie nicht gesagt leben will."


Behutsamkeit also - wer zum Teufel wollte da widersprechen! Die Schrift, die manchmal zu einem Pamphlet auf unser Zeitalter zu werden scheint, will auf das implizit Gebliebene hin gelesen und verstanden werden, das - wie sie es nennt - "Eingefaltete".
Und darin besteht auch ihr Reiz. Man kann sie lesen wie ein großes "Gedicht", das "jeden Scharfsinn überwindet" und "Denken aus sich heraufkommen läßt". Wer ein solches Gedicht schreibt oder schreiben will - und der Schrift ist implizit zu entnehmen, dass sie sich insgeheim wünscht, es würden mehr "Gedichte" in diesem Sinne geschrieben - erfüllt einen orphischen Auftrag: Die "zurückgezogene" Seite der Sprache zu achten, ihr seine Referenz zu erweisen, ihre "Schatten" im Schreiben stets mitzubedenken in einer Haltung der Demut, im Modus des "Tastens", der eben jene Behutsamkeit impliziert, die für den adaquaten Gebrauch der Sprache erforderlich ist. "Klare Worte" durchaus - doch mit dem Ziel, "etwas undurchsichtig zu machen" - Kunst als Kunst der Andeutung.

"Jeder gutgewachsene Satz, den ein tiefer Pessimist niederschreibt, bejaht als solcher die Welt."


Nicht einer reaktionären Verbitterung redet die Schrift das Wort. Als einen "Vorwärtsstürmenden der Erinnerung" sieht sie denjenigen, der sich den "allgegenwärtigen Exzessen der Nüchternheit" zu entziehen trachtet. Dem Zeitgeist des "Momentanen" hält sie mit Augustinus das "Manentane" entgegen:

"Was bleibt und immer ist, wie es ist."


Diese Schrift wird bleiben.



Botho Strauß: Lichter des Toren: Der Idiot und seine Zeit. München (Diederichs) 2013. 176 Seiten. 20,00 Euro.

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