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Anthologie: Lichtungen

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Timo Brandt

Viergestirn


„Schnee schreibt
meine Landschaft um

Ein Baum und ich
halten Andacht“
(Claire Bischof Vetter)

Vier Autorinnen sind in diesem Band versammelt. Das Konzept hinter der Anthologie „Lichtungen“ ist (zumindest mir) nicht ganz klar, und leider sind weder die Einführung noch der Rückentext, der fast schon eine eigene Rezension darstellt, eine wirkliche Hilfe. Denn beide, sowohl Einführungs- als auch Rückentext, haben selbst einen lyrischen touch und werden eher selten konkret; besonders der Einführungstext schwirrt mehr um die Texte herum als sie einzuordnen und einzuleiten.

Den Anfang macht Claire Bischof Vetter. Ihre Texte strahlen eine, meist angenehme, Bescheidenheit aus, in der die Funken lyrischen Ehrgeizes nur selten und kurz aufblitzen. Themen sind bei ihr fast ausschließlich Naturbeobachtungen, dann und wann leise verflochten mit anderen Beobachtungen. Ihre Gedichte sind unscheinbar, aber dadurch schon wieder anziehend (ich würde hübsch und nett sagen, wenn diese Worte nicht auch einen abfälligen Beiklang hätten). Es finden sich hier schöne Gedichte über den Schnee.

„Sich ausliefern
in eine Frage hinein
bis nichts bleibt
als ein flüchtiger Schein
auf weißem Papier“
(Claire Bischof Vetter)

„Am Ufer sitzt noch immer die Sprache,
murmelt bedächtig den Wasserreim
vor sich hin, horcht in sich hinein,
spielt vergnügt mit dem Silbenfluss.

Auch der Angler hört zu
und vergisst dabei
die mörderische List.“
(Erica Engeler)

Erica Engeler ist etwas kühner und ehrgeiziger als Vetter. Wo deren Gedichte mehr in sich ruhen, scheinen Engelers Verse auf etwas hinauszuwollen, zumindest die Andeutung einer Pointe/Conclusio zu bevorzugen. Trotzdem haben ihre Gedichte auch etwas Beiläufiges an sich.

Ihre Auflösungen allerdings, erscheinen mir persönlich selten gelungen. Entweder wirken sie gezwungen oder irritierend (leider selten irritierend auf gute Art). Wie passt der Angler zu der Metapher Sprache-Wasser? Welche Rolle kommt den Fischen zu: sind sie Botschaften, die Sprache mit sich führt? Die in der Sprache naturgemäß leben? Das Komplex-Lebendige in der Sprache, das der Mensch herausfischt und aufisst?

Das Bild wirkt clever, ohne wirklich anschaulich oder clever zu sein und etwas zu vertiefen – in meinen Augen wohlgemerkt. Schließlich kann man ja gerade diese Fragen, die ich oben gestellt habe, als den Anstoß sehen, den das Gedicht gibt. Fühlt sich aber eher nach Schikane an, bei mir.

„Gegenüber gehen abends Menschen
zwischen Spiegeln und Fenstern
mit nicht erkennbaren Gegenständen
hin und her im hellen Takt
gefangen und verspiegelt.“
(Erica Engeler)

„Guten Morgen, lieber Morgen!
Gut geschlafen, lieber Tag!
Lasst euch kitzeln, liebe Sorgen
auf dem Giebel krächzt der Rab“
(Christine Fischer)

Zunächst bin ich überzeugt, es bei Christine Fischer mit einer naiv-neckischen Art von Dichtung zu tun zu haben. Schon nach wenigen Gedichten wird dieser Ton aber abgelöst von einer tiefen Inbrunst, in der noch der Überschwang der ersten, leichtfüßigen Gedichte mitschwingt, diese aber im schweren Saum des Pathetischen daherkommt.

Zu dieser Inbrunst gesellt sich mitunter eine unkonkrete, flirrende, fast schon stakkatohafte Sprache:

„Weißes Licht
im frühen Jahr
malt Mauern weiß
und Blicke blau
weckt müdes Gras
zu Grün, zu Grün
leckt Schmutz und Dreck
und Schnee und Schlaf“
             
Später, auf den letzten Seiten, gibt es dann aber tatsächlich noch einige schöne, weniger selbstsicher und volltönend auftretende Gedichte, in denen aber, in meinen Augen, mehr Feinsinn und Glaubwürdigkeit liegt und deren Bilder unaufdringlicher sind. Insgesamt hinterlässt die Auswahl von Christine Fischer ein janusköpfiges Gefühl, irgendwo zwischen Sympathie und enervierender Frustration.

„Heftige Liebe
für diese Lichter
die etwas meinen
für diese Lichterketten
für in Häusern erleuchtete Fenster
die etwas bedeuten“
(Christine Fischer)

„kein aufbrausen
kein summen mehr –
auf hügelrücken
liegen schlohweiß
die je gegangenen wege
ruhn tote blätter
in einem häuflein stille“
(Maria Gertrud Macher)
                           
Den Schlusspunkt setzen die Gedichte von Maria Gertrud Macher, mit schlichter, leicht kryptischer Ruhe, in der immer wieder dezent etwas auflodert. Manchmal wirken sie etwas abgewandt, dann und wann etwas unmotiviert, aber sie strahlen doch immer wieder Behutsamkeit und einen subtilen Glanz aus, eine stille Kraft.

Auch nach der Lektüre bin ich in puncto Konzeption nicht schlauer, aber vermutlich gibt es kein Konzept – und die „Lichtungen“ sollten einfach vier Dichterinnen die Möglichkeit geben, ihre vier poetischen Positionen zu präsentieren. Eigentlich sollte es das öfter geben, schließlich gibt es viele Dichter*innen, aber nur wenig Publikationsmöglichkeiten. Aber man muss ja auch erstmal welche finden, mit denen man gern zusammen in einem solchen Rahmen erscheinen möchte.

„dem licht davon
rennt alles dunkle
das frühjahr beginnt
sich zu gefallen
in ein breites blumentuch
hüllt es sich ein
der rest ist traum“
(Maria Gertrud Macher)     


Claire Bischof Vetter, Erica Engeler, Christine Fischer, Maria Gertrud Macher: Lichtungen. Gedicht-Anthologie. Frauenfeld (Waldgut Verlag) 2018. 128 Seiten. 12,90 Euro.
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