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Andrzej Kopacki: Bisweilen andere Launen

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Timo Brandt


Bisweilen zwischendrin ein Schimmer knappgewordener Gewissheit


„Windgeblähte Segel wie fröhliche
Kindergesichter, woher die
Ahnung, an Bord keine Seele?
Das Wort der Fischer, wenn auch falsch, wurde nicht
Bezweifelt.“


Am Anfang kommt die Sprache immer zu spät. Die im ersten Teil des Bandes unter dem Stichwort „Launen“ versammelten Gedichte erscheinen wie sprachgewordene Schnappschüsse, die eigentlich einen wichtigen Augenblick ablichten sollten, aber der Auslöser wurde zu spät gedrückt. Nun bilden sie keine durchdringenden Momente ab; man kann nur eine Entwicklung, die vorher stattfand, an ihnen ablesen: Das Vollzogene, das die Möglichkeiten hinter sich gelassen hat.
    Gleichzeitig haben die Verse auch etwas Hochgestochenes, eine Schwere, die sie meist ominösen Gestalten und Handlungen zur Last legen. Die letzten Zeilen: fast schon allzu klassische Fade-outs:


„Für immer“

„In der letzten dieser Nächte“

„Er fühlte nur Tropfen auf den Wimpern und Salz auf der Lunge“


Dennoch: gerade wegen ihres Fotocharakters und trotz ihrer lapidaren Art, haben diese Texte eine interessante Unergründlichkeitsnote, die sie immer wieder anspielen. Die Anwesenheit der Sprache in diesen Gebilden, in denen sie eigentlich nichts mehr bewegen, nichts mehr ausrichten kann, irritiert und fasziniert.


„Pixel für Pixel wischt sie den Bildschirm mit dem anti
statischen Tuch bevor der Mann
zurückkommt vom Dienst und sich davor setzt
wie Buddha
mit Budweiser“

(Zhaina)


Im zweiten Teil geht es dann weiter mit „Leuten“. Hier fliegen ein paar Klischeefetzen, und es fallen glatte Sägespäne von sauber geschnitzten Lebensläufen. Beeindruckend ist, in wie viele Narrativstile Kopacki sich hineinbewegt, um am Ende, fast zu leicht, wieder aus dem eben geknüpften Gewand zu schlüpfen und die Lesenden mit einem Bild von einer Figur zurückzulassen, die keine Chance auf eine andere, in ihrem Leben nicht fest verankerte Perspektive zu haben scheint.
    Auch hier ist die Sprache zu spät und beschreibt allein das Eingefahrene, übt sich in einem unkommentierten Fatalismus; zieht von dem Punkt, der am Ende steht, einen roten Faden durch den Satz, der die Dinge beschreibt, und knüpft einen Knoten. Dass dieser Knoten reißen könnte oder locker sitzt, wird nur in kurzen Nebensätzen angedeutet. So zum Beispiel am Ende des Gedichtes über eine Frau namens Zhaina, der scheinbar jeder Widerspruchsgeist von ihrem Mann ausge-trieben wurde:

„täglich macht sie schweigend alles sauber
manchmal auch
wenn der Mann die Hosenträger abnimmt
und ins Nirwana sinkt
manchmal auch die Waffe“


Die Figur des Königs (und um „Gedichte vom König“ geht es im dritten Teil) erweist sich als variantenreich. Mal ist es Gott im Himmel, der den Ordensschwestern weit entfernt erscheint, während sie Patiencen legen. Mal ist es der Hund, der vom Balkon auf die Leute herunterschaut, die über den Platz gehen, und der jeden mit seinem Blick einfängt. Mal ist es der Vater, die enorme Gestalt, die doch auch etwas Geringes wie eine Allergie gegen eine Blume haben kann, deren Namen man dann ehrfürchtig flüstert.

Oder der König ist einfach die fehlende Anwesenheit irgendeiner Ordnung, irgendeiner Instanz, die eigentlich da sein müsste, aber nicht auftaucht, wenn wieder mal Regen fällt, es dunkel ist, alles abgewandt wirkt.


„Über den König von Sardinien sagt man,
Er wohne oben in Nuraghe.
[…]
Heute früh legte er mir
Ein Bündel Hunderternoten in den Weg.
Die kann ich nicht nehmen, sagte ich
Unaufrichtig, während mein Blick zum Berg ging,
Wo spärliches Grün wuchs.

Der Berg schwieg in der Hitze. Ich trat nach
Einem leeren Karton von Che Pizza
Und ging weiter.“


Ernst und absurd gleichermaßen, wirken diese Texte, als unterdrückten sie einen offensichtlichen Impuls und sprächen lieber von anderen Dingen. Gerade auf die vier Gedichte über den König von Sardinien (ist Napoleon gemeint?) trifft das zu. Auf den ersten Blick wirken sie bloß launisch und irgendwie weltfremd, aber der Nachdruck, der hinter dem schrägen Verlauf, den Bilder und Motive nehmen, steht, bringt einen dazu, einen Versuch zu unternehmen, die Puzzleteile doch irgendwie zu einem sinnigen Arrangement zusammenzuschieben. Man kommt zu keinem wirklichen Schluss.


„Die Dinge auf dem Tisch:
Benutztes Schnapsglas, Papiermesser,
Buch mit Gedichten von Malkowski.
All das sagt wenig über den Stand der Dinge.“


Wir kommen zum vierten Abschnitt, „Andere Launen“, den ich als das Kernstück und den Höhepunkt von Kopackis Band bezeichnen würde. Hier erreicht die nur leicht fixierte, unverfängliche Art seiner Sprache eine vortreffliche Ruhe und Bestimmtheit, und außerdem tritt auch die Sprachlosigkeit, die man hinter vielen seiner Texte als treibende Kraft vermutet, unverhüllter und ehrlicher zutage.
    Wunderbar z.B. das Gedicht „Telefon“, in dem am Stadtrand mitten in der Nacht eine Telefonzelle läutet, dann taucht aus der Dunkelheit eine Limousine auf, einen Lichtstreif auf die Telefonzelle werfend, fährt vorbei, und am Ende ist da wieder nur das Bild der Telefonzelle, die am Stadtrand, in einer verlassenen Gasse, klingelt.

„Sie müssen sich ins Wort fallen,
Bevor es sich verdichtet und selbst fällt wie ein Stein.
Vielleicht können sie es zerbröseln
Von innen, verdrehen
In einen Scherz, Sie wissen schon.“


Im Epilog-Raum des letzten Teils „Lichte Räume“ geht es dann sehr sanft zu – eine weitere Seite dieses facettenreichen Dichters zeigt sich.
    Es kommt mir so vor, als hätte sich Stück für Stück, von Abschnitt zu Abschnitt, eine immer interessanter werdende Stimme in den Texten durchgesetzt, immer deutlicher leuchtete hinter den Versen etwas auf. Jetzt, am Ende, ist es unübersehbar hell, fast schon zu hell. Aber dadurch merkt man, dass in diesem Band ein ganzes Spektrum durchmessen wurde, vom Kargen hin zum Kostbaren, dem Abgewandten in die Nähe hinein. Der ganze Korpus - zwischen Laune und Absicht.



Andrzej Kopacki: Bisweilen andere Launen. Gedichte. Berlin (edition.fotoTAPETA) 2017. 72 Seiten. 10,00 Euro.

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