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Alke Stachler: fluchtpunkte, 1 - 4

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Alke Stachler


fluchtpunkte, 1 - 4


I.

du kannst es gegen das licht halten, drehen, das gefühl. was sieht man auf dem röntgenbild von etwas ohne knochen? ohne knochen wie: der gedanke                 an einen fluchtpunkt. einen punkt, auf den alles zuläuft in sauberen geraden. der gedanke an gedanken, überhaupt,                  atem. der gedanke an ein ende der erde. ende wie: fallen, entgleiten, ende wie: eine bewegung, bei der du unterbrochen wirst, ein gedanke, bei dem du unterbrochen wirst, vielleicht von etwas, das fällt. und der nie wieder               aufgenommen werden kann an genau dieser stelle, denn diese stelle gibt es nicht mehr, nicht so. denn sichtbar sind nur bestimmte formen der verletzung, offene brüche, schürfungen, denn auslotbar ist nicht: die tiefe           eines traums. die tiefe eines menschen als solchem, als träumendem, die bodenlosigkeit. das alles klingt nach schlaf, doch es ist: nicht schlafbar, so nicht.



II.

wie das ist, ans ende der erde zu kommen, und dieses ende ist nicht                      eine violette kante aus lichtern oder ozean, dahinter gebleckte weite, das auge im leerlauf, sondern ein körper aus glas und stahl. ein körper, der sich verweigert, immer kippt, kippt, immer eine chimäre, in deren bauch du. fuß zu fassen versuchst, während du etwas aus deiner mitte heraus aufsteigen und von innen gegen diesen körper prallen fühlst wie einen nachtfalter gegen eine leuchte, deine zarten fragen vom anderen ende der erde                              als ein hauch auf dem glas. der nach sekunden wieder ausgelöscht ist als hätte es ihn nie gegeben, und manchmal glaubst du das auch. dass es nichts je gegeben hat, dass du. dass du luft bist oder dich langsam auftrennst wie jemand, der lange kein stoff mehr ist. wie etwas. könnte dein atem im flug frieren, würde auch er an diesem glas zerschellen.



III.

du kommst ans ende der erde, etwas sagt, wenn du noch einen schritt tust, wirst du fliegen, oder aber               du fällst. glaubst du daran, dass die luft eine brücke formen kann und will, obwohl der planet hier zu ende ist. glaubst du, das ende ist diese wand aus glas, oder ist diese wand aus glas der anfang von etwas, kann sich wandeln, verpuppen, und schlüpfen als etwas           verwundbares mit flügeln, flügeln für dich. dieses ist ein ort, an dem sich träume dehnen wie atem, dehnen und dünn werden und eine schlinge formen:                                      eine schlinge, die eine schlange, die durch glas geht.



IV.

ab jetzt bist du nichts mehr, das über eine kante kippen könnte wie ein mensch. du hast deinen körper abgegeben, und was übrig ist schwirrt, schwirrt jetzt wie ein falter mit nur einem flügel, zusammengekürzt bis auf einen wunsch, einen einzigen gedanken.



(Erschienen in: Akzente 3/2016)

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