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Alexandru Bulucz: Lieber Thomas

Gedichte > Gedichte der Woche
Alexandru Bulucz


Lieber Thomas, du vakanter Vagabund, du ungebundner Vagant,
du zerstreuter Streuner, ich bin empört, nur find ich die Emporen
nicht. Und fänd ich sie, wer wäre schon ganz Ohr wie du? Hoffe
nur, du hältst zu mir, wenn es fälschlich heißen wird, ich hätt es

dir unterm Siegel der Verschwiegenheit gesagt?! Das Geheimnis,
das offene: Sie werden vorgeführt wie Herden schwarzer Schafe.
Eckige Klammer auf: Herde lässt sich weit zurückverfolgen. Alt-
hochdeutsches herta ist damit verwandt. Runde Klammer auf: Von

Herta weiß ich, dass auch Pferde eingezogen wurden, konskripiert,
wie es früher hieß. Wenn sie fielen und man wusste wo und wann,
wurden wie bei Menschen Totenscheine ausgestellt: Bukephalos
fiel am 7. oder 8.10.1914 an der Weichsel – so ähnlich muss es

dann geheißen haben. Es graust mir vor der Frage, wie es jenen
ging, die Sohn und Pferd verloren, einzig und allein für dieses ei-
nen Totenschein bekamen. Runde Klammer zu, eckige Klammer
zu. Man – inspiriert von der Redewendung – habe sich geeinigt,

sie zu andren Stallungen zu lenken: Künftig sollen sie an toten
Gleisen schlafen. Betten, Pritschen werden nicht gestellt. Aus
Sicherheitsbedenken wegen Starkstrom, Schnaps und Sterbehilfe,
wegen Drogen, wegen Nichtderlandessprachekundigsein an jenen

Gleisen, die noch leben. Aus dem Nirgends in das Nirgendste, aus
Dynamiken in Statiken verwiesen. Natürlich rede ich von Obdach-
losen. Wovon denn sonst?! Und in Ungarn dürfen sie schon gar
nicht leben. Auf keiner Bank an öffentlichen Plätzen. Es stört ihn,

dass sie atmen, dass sie riechen. Bei Gott, ich werde aus Protest zu
jedem weiteren Termin beim Zahnarzt mit der größten Knoblauch-
fahne gehn. Es macht sie kirre, wenn sie gneißen, dass wir Gleiches
atmen, gleiche Luft. Und ich werde nur noch erste Klasse fahren,

bis zum Ziele rote Zwiebeln häuten, bis zum Ziele Tränen sammeln.
Mich nie mehr waschen, Lumpen tragen und auf Bänken und vor
Banken schlafen, auf dass sie wenigstens sich fragen, welches Schaf
und welcher Schlaf das sei. Das Schuldgefühl zurückerobern, lieber

Thomas, Gald und Geld und Guilt und Gold und Guld entehren,
das Niedrige in goldne Fesseln legen, allen Glanz zur Schande zählen.
Jeden Esel, der Dukaten scheißt, und jeden, der aus Scheiße Golde
macht, beim Wickel packen. Alle, die als niedrig einst und schmutzig

galten, ehrerbietig grüßen, ihnen Namen geben, wenn sie sterben,
für den Totenschein am toten Gleis …


September 2018, unveröffentlicht
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