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Alejandra Pizarnik: Fragmentos para dominar el silencio

Gedichte > Münchner Anthologie

Alejandra Pizarnik

Fragmentos para dominar el silencio


I

Las fuerzas del lenguaje son las damas solitarias, desoladas, que cantan a través de mi voz que escucho a lo lejos. Y lejos, en la negra arena, yace una niña densa de música ancestral. ¿Dónde la verdadera muerte? He querido iluminar me a la luz de mi falta de luz. Los ramos se mueren en la memoria. La yacente anida en mí con su máscara de loba. La que no pudo más e imploró llamas y ardimos.



II

Cuando a la casa del lenguaje se le vuela el tejado y las palabras no guarecen, yo hablo.

Las damas de rojo se extraviaron dentro de sus máscaras aunque regresarán para sollozar entre flores.

No es muda la muerte. Escucho el canto de los enlutados sellar las hendiduras del silencio. Escucho tu dulcísimo llanto florecer mi silencio gris.


III

La muerte ha restituido al silencio su prestigio hechizante. Y yo no diré mi poema y yo he de decirlo. Aun si el poema (aquí, ahora) no tiene sentido, no tiene destino.


(1968)


Alejandra Pizarnik


Fragmente, die Stille zu bändigen


I

Die Mächte der Sprache sind einsame, trostlose Damen, sie singen durch meine Stimme, die ich von Weitem höre. Und weit weg in der schwarzen Arena liegt ein Mädchen, schwer von der Musik ihrer Vorfahren. Wo ist der wirkliche Tod? Ich wollte mich im Licht meines fehlenden Lichts erleuchten. Die Zweige sterben ab im Gedächtnis. Die Liegende wohnt mit ihrer Wolfsmaske in mir. Die nichts mehr vermochte und Flammen erflehte und wir brannten.


II

Wenn dem Haus der Sprache das Dach davonfliegt und die Wörter keine Zuflucht sind, spreche ich.

Die roten Damen haben sich in ihren Masken verirrt, auch wenn sie heimkehren werden, um zwischen Blumen zu schluchzen.

Der Tod ist nicht stumm. Ich höre das Lied der Trauernden, es versiegelt die Risse der Stille. Ich höre dein süßestes Weinen, es bringt meine graue Stille zum Blühen.


III

Der Tod hat der Stille ihren verzaubernden Ruf wiedergegeben. Und ich werde mein Gedicht nicht aufsagen und ich muss es aufsagen. Auch wenn das Gedicht (hier, jetzt) keinen Sinn hat, kein Ziel.

Übertragen von Karin Fellner


Karin Fellner

Fragmente, die Stille zu bändigen



Beim Lesen überrascht sein wollen, rasch sein als Leserin, neue Impulse, Inputs, Impacts aufschnappen, im Reizfluss noch Reizenderes entdecken, das man dann womöglich „Gegenreiz“ nennt, auf der Jagd nach gewagten, gewitzten Erneuerungen – das flitzt, da flitze ich mit.

Dann ein zuckender Schreck, als ich merke, wie stark ich diese Lesart verinnerlicht habe, wie rasch ich manches weglege oder noch schlimmer: in einem Gedicht anderes gar nicht sehe. Erst gestern zeigte mir eine Kollegin vor einer Lesung eines ihrer Gedichte. Ich ging über die Zeilen, in der Vermutung, dass ich aufnehmen könnte, was dastand. Doch dabei blendete ich wichtige Teile aus.
Dann trug die Kollegin vor und mit ihrer Stimme erkannte ich, was in ihrem Gedicht war: das langsame Schlagen der verlorenen Namen von innen gegen die Sprache. Das wieder und nochmal Verdrängte, das ins Abseits Gekehrte, die Verbrechen meiner Vorfahren, der Holocaust. All das hatte ich zuvor einfach überlesen. Verwerfung, Übertünchung, auf der ich täglich gehe. Wie, dass ich mein Lesen ein „offenes“ nenne und Offenliegendes nicht sehe?

Die Gedichte der Alejandra Pizarnik (1936–1972) habe ich früher unter dem meist in diesem Zusammenhang hervorgehobenen biografischen Aspekt ihrer Unruhe, Schlaflosigkeit, ihres Suizids gelesen. Während sie mir heute voll sind von diesem Schlagen der verlorenen Namen gegen die Sprache. Aus den Gedichten drängt etwas an mich, wahrhaftig, schmerzhaft, das mich neu und anders zum Lesen bringt.

Wie ließe sich etwas sagen, das gelöscht wurde, dessen Löschung weiter betrieben wird? Fortwährend ringt in Pizarniks Gedichten das Sprechen mit dem Schweigen. Diese „Stille“ lässt sich, entgegen des im Titel anklingenden Projekts, nicht „bändigen“. Die Stille ist hier ein nicht fassbarer, nicht eingrenzbarer Raum, sie hat nichts Beruhigendes, in ihrer „grauen“ Textur, in ihren „Rissen“ dehnt sich Unheimliches. Das Gedicht setzt seine Zeichen, sehr präzise, sehr klar, in und gegen dieses Schweigen, aber es weiß gleichzeitig um das Prekäre dieses Vorgehens, um die Leere, die Versehrungen rund um und hinter den Zeichen. Wie lassen sich Gelöschte sagen? Diese bohrende Frage läuft für mich in jeder Zeile mit.

Wie in vielen von Pizarniks Gedichten kommen auch in „Fragmente, die Stille zu bändigen“ Wiederholungsfiguren zum Tragen, Aussagen, die sich gegenseitig unterlaufen, Paradoxien: „wenn die Wörter keine Zuflucht sind, spreche ich“; „Licht meines fehlenden Lichts“. Bilder staffeln sich zu Fluchten ohne erreichbaren Endpunkt – es gibt keinen zureichenden Grund dahinter oder darunter, nur Augen hinter den Augen, Schatten hinter den Schatten.

Dennoch stemmen Pizarniks Verse sich der Stille entgegen, indem sie die Negationen, das Fehlende streifen, „von Weitem“ aufrufen: „Und ich werde mein Gedicht nicht aufsagen und ich muss es aufsagen.“ Auch wenn dies kein autonomes, souveränes Sprechen mehr sein kann: Da sind Stimmen, die das Ich durchqueren, Stimmen der Toten, „das Lied der Trauernden“. Die Figuren treten ein und auf, ohne Anweisung, sie lassen sich nicht fixieren: die Damen, das Mädchen, die Masken, der Tod. Alle befinden sich in einer unaufhörlichen, stockenden Bewegung zueinander hin, voneinander weg, sie bevölkern einen Zwischenraum, in dem die Zeit ihre verlässliche Richtung verloren hat, Vergangenheit und Gegenwart überblendet – ohne festen Wohnsitz, ausgesetzt.

Im Sog der anwesenden abwesenden Toten erscheint das lyrische Sprecher-Ich selbst aufgespannt zwischen Orten und Zeiten, zwischen den Polen von Nichtsagenkönnen und Sagenmüssen, in einem Zustand, der alles kippen lässt. Das „Mädchen“, ein früheres Ich vielleicht, liegt wie erdrückt unter der Musik ihrer Vorfahren in der „schwarzen Arena“. Das Ich ist auch in anderen Gedichten Pizarniks ein vielfach Gespaltenes, der Raum „in den Masken“ bleibt unübersichtlich.

Alejandra Pizarniks fragmentierte, eruptive, tastende, suggestive Sprache, die sich ständig hinterfragt, die sich nichts schenkt, lässt mich in Lücken laufen, in meine eigenen Wächter und Messer. Sie hält mir vor Augen, dass Lyrik Verunsicherung ist, sein muss. Hinsehen auf das, was sich hinter mir befindet, unter mir, in den Rissen der Geschichte, der Sprache, der Stille, hinsehen auf das, was ich auszublenden imstande bin.

Ich bewundere Pizarniks Radikalität, wenn sie immer wieder versucht, ihren Körper in den Körper des Gedichts zu verwandeln. Sie setzt eine andere Bewegung in der Lyrik um, die heute in Vergessenheit zu geraten scheint: „Auch wenn das Gedicht (hier, jetzt) keinen Sinn hat, kein Ziel“.


(Mein Dank gilt Tamara Ralis für den wichtigen Anstoß, den sie mir mit ihrem Gedicht „Encore: Das alte Europa“ gab, sowie Odile Kennel für ihre hilfreichen Anmerkungen zu meiner Übertragung.)

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