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Josef Hader
Die Normalitätslüge
„Normal zu sein, ist das Ideal der Mittelmäßigen“ (C. G. Jung)
Das Sich-
Die Kunst als Mediator
Die Dichterbranche hält dazu einige eindrucksvolle Beispiele parat. Es sind dies schizophrene Künstler, die für ihr Werk hohe Aufmerksamkeit erfahren durften, aber den Schritt hinaus über die Schwelle der Irrenanstalt nie wirklich vollziehen konnten. Sie avancierten wegen ihres ungestümen und scheinbar bedenkenlosen Schreibstils zu anerkannten Vertretern der „Art brut“. Normale schätzen diese Schreiberzeugnisse. Vielleicht, weil sie die Routine ihrer eigenen eingetrübten tagtäglichen Gedankenmuster erfrischend durchbrechen oder weil viele Normale sich voyeuristisch an gemeinhin Unaussprechlichem delektieren und sich selbst dabei als noch opportuner erfinden können. Oder weil hier Texte aus einer scheinbar fremden Ursache heraus entstanden sind, die mit einer Vermengung aus Einfachheit und Komplexität des Pudels Kern auf unorthodox treffende Weise bloßlegen. Talentierte schizophrene Schriftsteller können Worte überaus beweglich handhaben, sie montieren sie unvoreingenommener, spielerischer, kreativer, unberechenbarer, als es üblich ist. Sie folgen mit größter Konsequenz der Tonspur ihres künstlerisch produktiven Erregungszustandes, den sie nicht mühsam „herbeibeten“ müssen, sondern den sie – anscheinend als Indiz der Krankheit – unkompliziert abrufen können. Der normale Dichter reduziert seine etwaigen „übertriebenen“ Einfälle auf ein gängiges Maß, der schizophrene hingegen lässt sie originär stehen.
Die Erforschung schizophrener Kunst ist mir eine spannende Herausforderung, die mich immer wieder verblüfft. Die beiden Schizophrenen Ernst Herbeck und Edmund Mach waren zur selben Zeit psychiatrische Patienten im „Haus der Künstler“ auf dem Gelände der Landesnervenklinik in Maria Gugging in Niederösterreich und dort die einzigen Dichter unter ebenfalls sehr anerkannten bildenden Künstlern. Der Psychiater und Leiter, Leo Navratil, begann schon Mitte der 1950er Jahre, seine Patienten aus Diagnose-
„Im Herbst da reiht der Feenwind“, lautet einer der bekanntesten Verse und zugleich auch der Titel eines Buches von Ernst Herbeck (Residenz Verlag, Hrsg. Leo Navratil). Das Buch erwartungsvoll aufgeschlagen und kurz angelesen auf der Suche nach Prägnantem, fällt mir spontan folgender Dreizeiler eines längeren Gedichtes ins Auge: „Freiheit das Wort im lauten Klang. / liegt als Parole für die Leut’, – / bereit uns zu verbannen.“ Übermächtig über der Form thront die Eruption der Aussage wie auch in seinem folgenden Gedicht:
„Der Tod
Der Tod ist eigentlich
eine Erlösung. (Vom
schwachen Leben.) Der
Tod ist das Leben für
die schwachen Toten.
Der Tod ist zu begehren
im Kampf; Der Preis da-
für. Sehnen sie sich nach
der Tat für den Tod?
Der Tod, der Tod, der Tod!
Deshalb wird Krieg ge-
führt!“
Das obskure Gedankenfeuerwerk von Edmund Mach spritzt wie Blut aus klaffenden Wunden und bekleckert den Mainstream, ohne bewusst literarische Formen sprengen zu wollen. Unter Verworrenem und Widersinnigem finden sich immer wieder Perlen von Formulierungen mit überwältigender Scharfsicht, überraschenden Wendungen und unfreiwilliger Komik. Dass seine Texte nichts mit Faserschmeichlerei zu tun haben, stellt Mach schon im Titel seiner Bücher klar wie zum Beispiel bei „Triumph des Schockens“ (Verlag G. Grasl, Hrsg. Manfred Chobot), aus dem das folgende Gedicht stammt:
„Eine hübsche Besucherin
Essen und Darmkrankheit
macht nichts
Mach hat zum Besuch
ein Fräulein, viel steht er
nicht auf sie, sie trinken
und trinken, bis das Loch
fertig ist.
Das Mobilar war ansprechend
und man fertigt sich
ein Leben an.
Zu dir ist nichts, von
dir ist alles. Inge lehrt das Torlone
Essen über dem Herd
schicken, und der Besuch
war also. Mit dem Wodka
war es all.“
Verrücktnormal und normalverrückt
Wir suchen einerseits das Verrückte im Normalen und andererseits das Normale im Verrückten. Daraus könnte man folgern, dass das Normal und das Verrückt die gegenüberliegenden Pole derselben Kategorie sind und jeder Punkt auf der Skala einem anderen Mischungsverhältnis der beiden Eigenschaften entspricht. Durch kontinuierliches Verschieben des Messpunktes schlägt irgendwann das überwiegend Normale ins überwiegend Verrückte um und umgekehrt. Der Sachverhalt ist jedoch komplexer, wenn die beiden Extreme als unabhängig voneinander stehend gesehen werden. Ein zweidimensionales Schema bietet sich hier an: Die oppositionelle Ausprägung von normal wäre nicht verrückt, sondern nicht normal. Analog verhält es sich mit verrückt/nicht verrückt. Somit fokussiert sich das Spannende dieser Betrachtung auf einen Zustand „maximaler Bewunderung“, den die beiden Ausprägungen nicht normal und nicht verrückt definieren und den vor allem das Werk von Ernst Herbeck anscheinend ganz gut getroffen hat und den die Menschen, wie eingangs behauptet, (heimlich) anstreben.
© Josef Hader, www.josefhader.at
Erschienen in: Jetzt anders! Ein Lesebuch voller Vielfalt und für Toleranz.
Hrsg. von Franziska Röchter. Verl (chiliverlag) 2014. 188 Seiten. 12,90 Euro.